Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
Leben?
Sobald wir in der Burg eingetroffen waren, wünschte ich Rand und Dilana eine gute Nacht und eilte in Valeks Wohnung. Obwohl ich so schnell wie möglich in mein Zimmer wollte, bat ich einen der Wächter vor der Tür nachzuschauen, ob sich ein Eindringling in Valeks Wohnung versteckte. Mordversuche und eine blühende Fantasie hatten mich ausgesprochen nervös gemacht und ließen mich überall einen Hinterhalt vermuten. Alle Lampen brannten, als ich mich in Valeks Wohnzimmer auf das Sofa setzte, das mitten im Raum stand. Trotzdem fühlte ich mich erst sicher, als er im Morgengrauen zurückkam.
„Hast du gar nicht geschlafen?“, fragte er. Eine faustgroße, dunkelrote Wunde auf seinem Kinn stach von seiner hellen Haut ab.
„Nein. Ihr doch auch nicht“, entgegnete ich gereizt.
„Ich kann den ganzen Tag schlafen. Aber du musst in einer Stunde das Frühstück des Commanders testen. Dafür brauchst du einen ausgeruhten Kopf.“
„Was ich vor allem brauche, sind Antworten.“
„Auf welche Fragen?“ Valek begann, die Lampen zu löschen.
„Warum versucht eine Zauberin aus dem Süden, mich zu töten?“
„Eine gute Frage. Die Gleiche wollte ich dir auch stellen.“
„Woher soll ich das wissen?“ Ratlos zuckte ich mit den Schultern. „Wenn es Brazells Soldaten gewesen wären, hätte ich es verstehen können. Aber Zauberer! Ich kann mich nicht erinnern, eine Zauberin aus dem Süden verärgert zu haben.“
„Das ist bedauerlich. Wo du doch so talentiert bist, wenn es darum geht, andere Leute gegen dich aufzubringen.“ Valek setzte sich an seinen Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände. „Sie ist nicht nur eine Zauberin aus dem Süden, Yelena, sondern eine Zauberin im Range eines Meisters. Wusstest du, dass es nur noch vier von ihrer Art in Sitia gibt? Vier! Und seit der Machtübernahme haben sie sich von dort nicht mehr wegbewegt. Manchmal schicken sie einen oder zwei dienstbare Geister in unsere Gegend, um nachzuschauen, was wir hier so treiben. Bis jetzt haben wir noch jeden Spion abfangen können und uns ausführlich mit ihm beschäftigt. Commander Ambrose duldet keine Zauberei in Ixia.“
Zu Zeiten der Monarchie waren die Magier die Elite gewesen. Sie wurden wie Adlige behandelt und hatten großenEinfluss auf den König. Nach dem Machtwechsel hatte Valek jeden von ihnen getötet. Ich fragte mich, wie er das angestellt hatte. Der Frau vom Abend zu vor hatte er je denfalls nicht habhaft werden können.
Valek erhob sich und nahm einen grauen Stein von seinem Tisch. Während er den Wohnraum mit großen Schritten durchmaß, warf er ihn von einer Hand in die andere.
Ich erinnerte mich daran, wie er neulich einen Stein nach mir geworfen hatte. Vorsichtshalber zog ich die Füße hoch, schlang die Arme um meine Knie und zog sie gegen meine Brust, um eine möglichst kleine Zielscheibe abzugeben.
„Wenn die Südländer einen ihrer Zauberer im Range eines Meisters einem solchen Risiko aussetzen, muss es einen …“ Nachdenklich wog Valek den Stein in seiner Hand und suchte nach dem richtigen Ausdruck „… schwerwiegenden Grund geben. Warum also sind sie hinter dir her?“ Er seufzte und ließ sich neben mich aufs Sofa fallen. „Lass uns mal überlegen. Du hast offenbar südliches Blut in deinem Erbgut.“
„Wie bitte?“ Ich hatte noch nie über mein Erbgut nachgedacht. Heimatlos war ich auf der Straße aufgelesen worden, und Brazell hatte mich aufgenommen. Vermutungen über meine Eltern beschränkten sich darauf, dass sie entweder tot waren oder mich verlassen hatten. Alle Erinnerungen an mein Leben, bevor ich ins Waisenhaus kam, waren ausgelöscht. Ich war Brazell sehr dankbar gewesen, dass er mir ein Dach über dem Kopf gegeben hatte. Valeks beiläufig dahergesagte Worte waren für mich daher ziemlich überraschend.
„Deine Hautfarbe ist ein wenig dunkler als die des typischen Nordländers. Von deinen Gesichtszügen her wirkst du wie jemand aus dem Süden. Grüne Augen sind bei uns sehr selten, aber in Sitia kommen sie häufig vor.“ Valek deutetemeinen erstarrten Gesichtsausdruck falsch. „Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Als der König regierte, war die Grenze nach Sitia offen für Handel und Gewerbe. Die Leute bewegten sich ungehindert zwischen den Territorien hin und her, und so kam es auch zwangsläufig zu Eheschließungen. Vermutlich bist du unmittelbar nach dem Regierungswechsel ausgesetzt worden, als die Menschen in panischer Angst in den Süden geflohen sind,
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