Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
genauso blöd, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte.« Gideon hatte Mühe, seine Gedanken zu ordnen. »Ich wollte ihr erklären, dass ihre Vergangenheit für mich keine Rolle spielt, und das tut sie im Grunde auch nicht, aber sie ist nun einmal da. Es gibt sie, ebenso wie es alles andere gibt, was mit ihr zu tun hat, und entsprechend kann ich sie weder vollständig ignorieren noch vollkommen vergessen. Aber...«
»Aber?«, fragte Helmsley, als Gideon nicht weitersprach.
»Aber ich verurteile sie nicht dafür. Wegen ihrer Vergangenheit habe ich keine niedrigere Meinung mehr von ihr. Habe ich nicht. Ganz und gar nicht. Ich finde, sie ist...« Gideon schüttelte den Kopf. »Ich finde, sie ist ziemlich wundervoll. Sie ist klug, sie ist bezaubernd, sie ist witzig. Für mich ist sie alles, was ein Mann sich jemals wünschen kann.«
»Hast du ihr das alles gesagt?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde wetten, dass ich es nicht gesagt habe. Irgendwie geriet danach alles außer Kontrolle.« Er fuhr sich mit den Händen durchs Haar und versuchte, sich genau an die Worte erinnern, die zwischen Judith und ihm gefallen waren. Je länger er in der Kutsche darüber nachgedacht hatte, umso verworrener war alles geworden. »Sie war sehr wütend, und es kann sein, dass ich sie irrational nannte.«
»Du nanntest sie irrational, nachdem du ihr ihre Sünden vergeben hast?«, fragte Helmsley, der sich ein Lachen nur mit größter Mühe verkneifen konnte.
»An dem Punkt waren wir beide recht aufgebracht.«
»Da wäre ich gern dabei gewesen«, murmelte Helmsley.
»Ich versichere dir, das war keine hübsche Szene. Noch dazu ging es weit über Judiths Abenteuer während ihrer Witwenzeit hinaus.« Gideon sah seinen Freund an. »Du sagtest einmal, du würdest denken, dass irgendetwas in Judiths Ehe nicht gestimmt hätte.« Er sammelte seine Gedanken. »Ich glaube, Judiths Ehemann war sehr eifersüchtig. Unbegründetermaßen, würde ich vermuten.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Judith ihrem Ehemann jemals Grund zur Eifersucht gab«, sagte Helmsley im Brustton der Überzeugung. »Sie ist einer der ehrenhaftesten Menschen, die ich kenne. Ihr Wort gilt für sie ebenso viel wie für jeden Mann.«
»Diesen Vergleich solltest du lieber nicht in ihrer Gegenwart ziehen.«
Helmsley stutzte. »Das ist ein Kompliment.«
»Sie wird es nicht als solches auffassen. Wie ich sagte...« Selbst jetzt noch fiel es Gideon schwer, das zu glauben, aber alles andere ergab überhaupt keinen Sinn. »Ich glaube, er hat sie verletzt.«
Judith sprach nie von ihrem Ehemann oder ihrer Hochzeit, und wenn, dann hörte es sich wie auswendig gelernt an. Sie war entschieden dagegen, sich noch einmal zu verheiraten. Abgesehen von den Gründen, die sie angab – ihre Unabhängigkeit, ihr Vermögen und all das -, klang es schlicht nicht überzeugend. Ebenso wenig wie die Beharrlichkeit, mit der sie darauf bestand, dass ihr gebrochener Finger auf einen Unfall zurückging. So wütend, wie sie beide in dem Moment gewesen waren, war er doch sicher, wäre es ein Irrtum seinerseits gewesen, hätte Judith einfach gelacht. Stattdessen war da ein Blick in ihren Augen gewesen, den er nie wieder sehen wollte. Gideon holte tief Luft. »Und ich meine damit, er hat sie körperlich verletzt.«
»Das hat sie dir erzählt?«
»Ach was, wie kommst du darauf? Natürlich hat sie mir nichts dergleichen erzählt. Aber ich bin dennoch davon überzeugt.« Gideon leerte sein Glas, ging zur Karaffe und schenkte sich nach. »Wäre er nicht schon tot, würde ich ihn eigenhändig umbringen.«
»Und ich wäre gezwungen, dir zu assistieren«, kommentierte Helmsley todernst und frostig. »Keinem Mann sollte es erlaubt sein, eine Frau zu verletzen, vor allem nicht eine, die unter seinem Schutz steht.«
Gideon gab sich keinerlei Illusionen hin. Solche Dinge geschahen immerzu. Frauen, insbesondere Ehefrauen, hatten dem Gesetz nach keinerlei Möglichkeiten, sich der Misshandlungen durch ihre Gatten zu erwehren. Trotzdem war er damit noch nie direkt konfrontiert worden, und der bloße Gedanke verursachte ihm Übelkeit. Möglicherweise lag es daran, dass ihm uralte Ideale wie Galanterie, Ritterlichkeit und das Beschützen der Schwächeren selbst in diesen Tagen noch etwas bedeuteten und sein Handeln bestimmten. Oder vielleicht weil die fragliche Dame Judith war. Auf jeden Fall bereitete ihm die Vorstellung, dass ihr Ehemann, der Mann, der ihr Liebe geschworen hatte, der
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