Zeilen und Tage
westspanischen Estremadura unterwegs auf Einladung einer lokalen Stiftung, die ausländische Gäste für die Reize ihrer Region sensibilisieren möchte. Ob die Jahreszeit gut gewählt ist?
Im Salon des Hotels Alfonso XIII stehen alte Ohrensessel feierlich steif um den schwarzen Tisch, wie Offiziere in grünen Uniformen, stumm wartend auf die Anweisungen unsichtbarer Vorgesetzter.
Bei Cervantes heißt Südamerika noch Indien, und so nennt sich bis heute das große Archiv der spanischen Weltverwaltung von Sevilla. In dem famosen Archivo de Indias stehen anstelle der Akten Attrappen in den Regalen, man hat die wertvollen Papiere in besser gesicherte Archive migriert.
28.-31. Oktober, Cáceres Mérida Yuste Plasencia
Das Wetter ist pure Fremdenfeindlichkeit. Die Häßlichkeit der Stadt Mérida, die durch Relikte eines römischen Theaters Aufmerksamkeit erregt, schlägt so aufs Gemüt, daß der Reisende das innere und äußere Notizenmachen aufgibt. Wem Sibirien zu weit ist, denkt er, kann sich mit der Estremadura begnügen.
Es scheint bezeichnend, daß selbst Gustav Faber, einem der besten Reiseschriftsteller für den europäischen Süden, zu dieser Region nicht viel einfällt, ausgenommen ein paar matte Anekdoten über die letzten Tage von Karl V. in Yuste. Merkwürdig der hölzerne Tragstuhl des gichtkranken Kaisers mit dem beweglichen Fußteil, der an einen Sitz in Business Class erinnert.
Unter dem grauen Himmel kann sich der Reisende die eigene Anwesenheit kaum erklären. Die Absurdität des Tourismus liegt offen: Man schleußt Biomasse durch Kulturmasse hindurch in der Erwartung, die erstere möge dabei etwas »erleben«. Aber die Biomasse wird traurig und fällt sich selber zur Last. Tonnenschwer ist der Tourist, der im Regen durch eine spanische Provinzstadtgasse läuft und von den Auslagen links und rechts mit dem gewöhnlichen Lebenszubehör aufgestachelt wird. Alles plädiert, die Brillenläden, die Hörgeräteläden, die Schuhläden, die Mobiltelefonläden, die Kinderkleidungsläden, am lautesten die Geschäfte mit den productos estremeños, die Parfümerien und die Vitrinen mit den Süßigkeiten nicht zu vergessen.
In der Kirche neben dem Parador von Plasencia ist eine Ausstellung mit pasos zu sehen, den lebensgroßen Prozessionsfiguren, die in der Karwoche von büßenden Vermummten durch die Städte getragen werden. Sie zeigen in einem grell veristischen Stil Szenen der Passion Christi. Offensichtlich sind sie von einer Liebe zur Leiche inspiriert, sie verraten eine Begeisterung für die Tortur, die ganz als Schauspiel aufgefaßt wird. Hier ahnt man etwas vom spanischen Dolorismus und von der Leidensbereitschaft mancher dieser Männer aus der tiefen iberischen Provinz, die noch die Köpfe von Landsknechten und Konquistadoren haben und sich heute mehr schlecht als recht als Handlanger und Lieferanten durchschlagen. Der Dolorismus ist der Heroismus der um das Abenteuer Betrogenen.
2.-4. November, Trujillo La Florentina
Der Tourist ist der Anti-Eroberer, er soll sich von der Landschaft gefangennehmen lassen. Was tun, wenn er ungefesselt an den Anblicken vorbeitrottet?
Und erlöse uns vom wachen Leben. Das Anti-Drama geht von der sinkenden Lebensdynamik aus. Hier wären die Tiere lieber Pflanzen, während die Pflanzen um die Steine werben.
Nie war das Kilometer/Erlebnis-Verhältnis ungünstiger.
Jedoch: Übertragungsliebe gibt es auch bei Landschaften. Wer die Mandelhaine in der Provence liebt, wie sollte der in der Estramadura nicht glücklich sein? Wem die Eichen bei Grignan und die von Natursteinmauern umsäumten Olivengärten bei Nyons vertraut sind, ist in Trujillo binnen kurzem zu Hause. Und wer die Granatapfelbäume im Hof der Finca von Dolores gesehen hat, muß wiederkommen.
Isidoro erzählt von seinem Vater, einem Caballero alter Schule, der davon überzeugt war, Fremdsprachenkenntnisse seien ausschließlich den Sekretärinnen, den Bediensteten und dem internationalen Gelichter vorbehalten. Er hielt an der Auffassung fest, niemals werde sich die Zunge eines spanischen Kavaliers dazu herablassen, die zur korrekten Aussprache einer fremden Sprache erforderlichen lächerlichen Laute hervorzubringen.
5. November, Madrid
Die Amerikaner haben den Hauptschalter umgelegt. Im günstigsten Fall könnte dieser 4. November die Wirkungen des 11. Septembers aufheben.
In The Spectator sagt der britische Journalist James Forsyth: »Obama hat die Welt verändert, nur indem er gewählt wurde (just by being
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