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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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drehte er sich auf seinem Stuhl um und reichte mir den Joint.
    Wir unterhielten uns, während wir rauchten. Er war dreiundzwanzig, kam aus Bari in Süditalien und würde in drei Wochen seinen Abschluss in Informatik machen. »Nächstes Jahr ziehe ich nach Mailand«, erzählte er. »Ich hoffe, einen Job in der Entwicklung von Computerspielen zu bekommen.«
    Wir stellten fest, dass wir eine dritte Sprache gemeinsam hatten, Deutsch. Als ich ihm berichtete, ich hätte in der Highschool Japanisch gelernt, sagte er, ihm gefalle Schöne Märchenkriegerin, eine japanische Manga-Serie über Mädchen mit Zauberkräften, die gegen das Böse kämpfen. Die daraus hervorgegangene Fernsehserie war früher einmal meine Lieblingssendung gewesen, aber mich überraschte, wie kindlich sein Interesse an Comics war – und ich fand es nett, wie bereitwillig er das zugab.
    Das Marihuana begann zu wirken. »Weißt du, was mich zum Lachen bringt?«, fragte ich. »Fratzen schneiden. So.« Ich schielte und blies die Wangen auf. »Versuch es auch mal.«
    »Okay.« Er streckte die Zunge raus und zog die Augenbrauen zusammen.
    Ich lachte.
    Inzwischen hatte sich Raffaele neben mich auf das Bett gesetzt. Wir schnitten Grimassen, bis wir anfingen zu knutschen. Dann schliefen wir miteinander. Das fühlte sich total natürlich an. Am nächsten Morgen wachte ich auf, in seinen Arm gekuschelt.
    Nach dieser ersten Nacht – und sieben Tage lang – waren Raffaele und ich eins. Wir verbrachten jede freie Minute zusammen. Nach dem Frühstück lief ich nach Hause, um zu duschen – seine Dusche war mir zu eng – und mich für den Unterricht umzuziehen. Wir trafen uns dann wieder bei ihm oder bei mir zum Mittagessen. Nachmittags machte ich meine Hausaufgaben, während er an seiner Abschlussarbeit feilte, die zwei Wochen später fertig sein musste, eine Woche vor seiner Abschlussfeier. Sein Vater plante ein riesiges Fest in einem schicken Restaurant in der Nähe.
    Wir kommunizierten in einem Kauderwelsch aus Italienisch, Englisch und Deutsch – was aber oft in Küssen und anderen Zärtlichkeiten mündete. Ich rollte mich gern auf seinem Schoß zusammen oder schlang von hinten die Arme um ihn, während er das Geschirr spülte. Wenn wir zusammen duschten, wusch er mir die Haare und trocknete mich mit einem Handtuch ab, reinigte sogar meine Ohren mit Q-Tips. Das fand ich total zärtlich – es fühlte sich so intim an wie Sex.
    Meredith hatte gerade angefangen, unseren Nachbarn Giacomo als ihren Freund anzusehen, und wir scherzten darüber, dass bei uns alles parallel ablief. Wenn wir uns zufällig mal für kurze Zeit gemeinsam zu Hause aufhielten, tauschten wir uns aus.
    »Ich mag Giacomo«, sagte sie, »aber er ist mir gegenüber sehr zurückhaltend, wenn wir mit anderen zusammen sind. Es stört mich echt, dass er nicht mal hallo sagt oder überhaupt Notiz von mir nimmt, wenn ich ihm in der Stadt über den Weg laufe.«
    »Vielleicht musst du ihm einfach ein bisschen Zeit lassen«, schlug ich vor.
    »Ja, das glaube ich auch«, erwiderte sie. »Aber was ist mit Raffaele? Sieht so aus, als würdest du total auf ihn abfahren.«
    »Ja, stimmt.«
    Er war mit seiner Zeit und mit mir großzügig. Er hatte eine Vorliebe fürs Detail. Seine Hemden waren aus weicher Baumwolle, seine Pullover und Schals aus Kaschmir – alles viel schöner als meine Jeans und Sweatshirts. Und obwohl ich keine Ahnung von Autos hatte, zeigte er mir stolz seinen Audi. Als Raffaele herausfand, dass ich keine unverkennbare Duftnote an mir hatte, wie es einer guten Italienerin zukam, nahm er mich mit in einen Parfümladen in der Innenstadt, um mir eine auszusuchen. Ich tupfte mir immer einen Tropfen auf den Arm und hielt ihn Raffaele unter die Nase. Schließlich einigten wir uns auf ein Parfüm mit Sandelholznote – etwas Leichtes, Erdiges, das mich daran erinnerte, wie Perugia am Morgen roch. Raffaele bezahlte, ohne zu zögern, und überreichte mir eine hübsche, mit einem blauen Band zugebundene Einkaufstüte. Ich kam mir kultiviert und zum ersten Mal wirklich sexy vor. Händchenhaltend gingen wir zu seiner Wohnung.
    Als wir uns in jener Nacht im Bett aneinanderkuschelten, sagte er zu mir: »Ti voglio bene«, was wortwörtlich »ich wünsch dir alles Gute« heißt. Ich hatte diesen Satz oft gehört, seitdem ich in Perugia war – TVB ist gebräuchliche italienische SMS-Sprache für »Hab dich lieb«.
    Mir war nicht klar, wie viel Gewicht diese drei Wörter haben konnten. »Anch’io ti

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