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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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anderen.
    Wir schlüpften unter dem gelben Absperrband vor der Haustür durch und zogen blaue Schuhüberzieher an. Seit Merediths Leiche gefunden worden war und die polizia postale uns hinausgeschickt hatte, war ich nicht mehr in unserer Wohnung gewesen. Ich zitterte vor Angst und kam überhaupt nicht auf die Idee, mein »Ta-dah!« vom Vortag zu wiederholen. Das Herz wollte mir schier aus der Brust springen, als ich hineinging; jeder Haushaltsgegenstand – die Schüssel auf dem Küchentresen, das Sofa im Wohnzimmer – schien Zeuge von Merediths Tod gewesen zu sein.
    Die Polizisten befahlen mir, in mein Zimmer zu gehen, und beobachteten mich dabei. »Fehlt etwas?«, fragten sie.
    »Sieht alles okay aus«, sagte ich mit dünner, zitternder Stimme. Ich fühlte mich wie ein Kind, das Angst hat, im Dunkeln den Flur entlangzugehen. Vor lauter Beklemmung vergaß ich nachzusehen, ob mein Mietgeld noch in der Schreibtischschublade lag.
    »Jetzt kommen Sie in die Küche zurück.«
    Ich gehorchte.
    »Öffnen Sie die unterste Schublade und schauen Sie sich die Messer an. Fehlt eines?«
    Dort bewahrten wir unsere überzähligen Utensilien auf – diejenigen, die wir so gut wie nie benötigten. Als ich die Schublade aufzog, schimmerte mir Edelstahl entgegen. »Ich weiß nicht, ob da eins fehlt oder nicht«, sagte ich zitternd. »Die benutzen wir eigentlich nicht.«
    Ich griff hinein, schob ein paar Messer umher und stand dann hilflos auf. Mir war klar, dass sich die Mordwaffe unter den Messern in der Schublade befinden konnte – dass ich das Ding herausfischen sollte, mit dem man ihr die Kehle durchgeschnitten hatte. Panik überflutete mich.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, die Arme schlaff an den Seiten. Jemand führte mich zum Sofa. »Brauchen Sie einen Arzt?«, fragte die Dolmetscherin.
    »Nein«, wimmerte ich. Meine Brust hob und senkte sich. Schluchzend versuchte ich zu erklären, was in mir vorging, konnte aber nicht zusammenhängend genug sprechen. Ich muss weg von hier, dachte ich nur. Auf einmal wurde das Geschehene greifbar. So musste es Filomena vor zwei Tagen ergangen sein, als sie in Merediths Zimmer geschaut hatte. Ich brauchte das Blut, die Leiche, den bloßen Fuß nicht zu sehen, um mir den Horror voll und ganz vorstellen zu können.
    Hyperventilierend saß ich da und sog Luft ein, bis meine Panik schließlich abebbte.
    Bevor wir wieder gingen, brachten sie mich zu Filomenas Zimmer, um zu hören, ob es darin meiner Meinung nach noch genauso aussah wie zu dem Zeitpunkt, als ich den Einbruch entdeckt hatte. Aber das war schwer zu sagen. Es war damals unaufgeräumt gewesen, und das war es auch jetzt noch. Und ich wusste, dass Leute – unter anderem Filomena – sich darin zu schaffen gemacht hatten.
    »Was haben Sie am Freitag damit gemeint, in der Toilette hätten Exkremente geschwommen, als Sie das erste Mal hineinschauten, und beim nächsten Mal seien sie fort gewesen?«, fragten sie.
    Ich erzählte ihnen, was ich gesehen hatte.
    Beim Anblick des Absperrbands vor Merediths geschlossener Tür überlief mich ein Schauder. Meredith, dachte ich.
    Als wir kurz vor sieben Uhr abends zur questura zurückkamen, wartete Raffaele mit einer Pizza auf mich. Ich schlang sie im selben Büro hinunter, in dem ich zuvor mit ihm gewesen war. Mein Handy klingelte. Meine Mutter würde morgen früh aufbrechen, um wie im Himmel-und-Hölle-Spiel von Seattle nach Rom zu hüpfen. Direktflüge gab es nicht. Obwohl ich ihr anfangs gesagt hatte, sie solle nicht kommen, konnte ich es jetzt kaum erwarten, dass sie mich am Dienstagmorgen im Bahnhof in die Arme schloss.
    Als Nächstes rief Dolly an. Sie war um etliche tausend Meilen näher bei mir als jedes andere Mitglied meiner Familie und de facto mein Notfallkontakt. Vor sechs Monaten hatten sich meine Eltern am meisten Sorgen darüber gemacht, dass ich in meinem Auslandsjahr krank werden könnte. Verhaltensmaßregeln für den Fall, dass meine Mitbewohnerin ermordet wurde, gab es nicht. Dolly hatte ein Neugeborenes und konnte nicht einfach so nach Perugia reisen, aber sie meldete sich regelmäßig bei mir. Kurz vor dem Ende des Gesprächs erteilte sie mir zum zweiten Mal den Rat, etwas zu tun, worauf ich mittlerweile selbst hätte kommen müssen. »Amanda«, sagte sie, »du solltest die amerikanische Botschaft in Rom anrufen. Informier sie darüber, was passiert ist. Es wäre gut, die Sache zu dokumentieren, weißt du, nur für den Fall des Falles.«
    Ich verstand nicht, worauf

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