Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
Vom Netzwerk:
viel Holz, Glas, gefliester Boden, in der Lobby Palmen. Als ich an der Rezeption darauf wartete, mich einzutragen, blätterte ich einen Stapel Zeitungen durch; ich kaufte eine, den Northern Whig. Mein Zimmer war groß, mit einem breiten Messingbett, schönen, langen Vorhängen, einer Waschschüssel und einem Krug auf dem Ankleidetisch. Keine Toilette – die war am Ende des Ganges.
    Wieder in der Lobby, fragte ich den Portier: »Ich habe Geschäftliches bei Harland & Wolff zu erledigen; ist es weit?« Nicht, wenn mir Gehen Freude mache, antwortete er und holte eine Karte heraus; er zeigte mir den Weg dorthin; es war sehr einfach, immer in Richtung des Flusses Lagan.
    Draußen ging ich dann aber nicht gleich zu Harland & Wolff, sondern bummelte erst einmal durch Belfast, und was ich sah, war eine enge, lärmende viktorianische Stadt, nichts war in letzter Zeit neu gebaut worden. Eine Stadt aus Stein, zumindest hier im Zentrum; meist gab es niedrige zwei- und dreistöckige Geschäftshäuser. Die Straßen waren voller Verkehr, alle Wagen von Pferden gezogen, bis auf die großen roten Doppeldeckerbusse, die in manchen Straßen mit Elektrizität betrieben, in anderen noch von Pferden gezogen wurden. Auf der Vorderfront jedes Busses warb eine Reklame für Marsh’s Biscuits. Neben den Bussen gab es alle Arten von Gefährten, vor die Pferde gespannt waren, und ich sah einen zweirädrigen Karren, der von drei Jungen gezogen wurde. Kein Automobil – ich sah kein einziges. Fußgänger überquerten die Straßen, wo und wann immer sie wollten, und überall gab es Reklameschilder: Cerebos, was immer das sein mochte, und Co-Op Bread, und viele Anzeigen der Music Halls.
    Ich ging einen oder zwei Häuserblocks die Straßen hoch, die gesäumt waren von Music Halls und einem Theater, der Oper, das gerade ein Stück von Arthur Pinero spielte, und betrachtete die Reklamewände der Music Halls: Cherburn’s Young Stars im Empire, daneben Elton Edwin, ein Banjomusiker für klassische Musik. Kitts and Windrow, The Rair Impostors and their Mélange. Im Royal Hippodrome Alfred Cruikshank, ein Clown, Geschichten und Gesang. Horton und Latrinska und so weiter. Keiner meiner Varieté-Freunde, obwohl sie manchmal Auftritte in England und Irland hatten.
    Am späten Nachmittag wieder im Hotel, wo ich versuchte, den Northern Whig zu lesen. Schließlich, kurz nach zehn Uhr, steckte ich mir eine Taschenlampe ein und ging durch die verlassene Lobby nach draußen, wo ich meine Schritte nach den Anweisungen des Portiers ausrichtete. ›Queen‹ sollte mein Schlüsselwort sein. Ich überquerte also Queen’s Bridge … kam an der Queen’s Quay Station vorbei … und ging die Queen’s Road entlang …
    Je näher ich meinem Ziel kam, desto ruhiger, einfacher und unansehnlicher wurden die Straßen. Zum Schluss, die Straße fiel zum Lagan hin ab, gab es nur noch hässliche, kleine, zweistöckige Backsteinhäuser, die alle in einer Reihe aneinandergebaut waren, direkt am gepflasterten Gehweg. Arbeiterhäuser, die Häuser der Menschen, die in den Docks und Werften arbeiteten. Keine Lichter mehr, keine Geräusche bis auf das Schreien eines Kleinkindes. Die Straße war mit Steinen von Feldern oder aus Flüssen gepflastert. Es herrschte Dunkelheit in den Straßenblocks, nur an den Ecken standen Laternen, unruhige, qualmende, orangefarbene Lichter. Ich konnte, wenn ich darunterstand, das Petroleum riechen; mein Schatten überholte mich unter den Füßen, streckte sich und verlor sich dann in der Dunkelheit vor mir.
    Die Straße mündete in eine andere, die Kreuzung war schwach beleuchtet. Ich überquerte sie; niemand war hier unterwegs. An einem Ende ging sie als schmaler Weg neben einer Ziegelmauer weiter und stieg leicht an. Gegenüber der Mauer lagen vereinzelt Gebäude; aus manchen Fenstern drang fahles Licht, andere waren dunkel. An einigen konnte ich gemalte Schilder erkennen: Schmiede … Lager … Holztrocknerei … Elektrische Generatoren … Messingverarbeitung … Galvanisierung … Stoffmuster … Bolzen und Nieten … Polstern … Malerei … um nur einige zu nennen. Es war dunkel, nichts regte sich, nur meine Schritte waren zu hören, hier in dieser Nacht im Jahre 1911.
    Dann kam eine Lücke in der Mauer, der Weg bog ab in das ummauerte Gebiet, in der Maueröffnung ein breites hölzernes Tor mit einem schwarz-weißen Schild: Harland & Wolff, Ltd. Schiffbauer. Dann wieder die Mauer und weitere Handwerker: Kupferschmiede …

Weitere Kostenlose Bücher