Zigeunerprinz
Matratze seines Bettes niederlegte und ihre Arme von seinem Hals zu lösen begann, erwachte sie, um ihn schlaftrunken anzulächeln.
»Ich lebe in einem Junggesellenhaushalt, aber trotzdem müßte ich eine Zofe auftreiben können. Ich werde sie zu Ihnen schicken, andernfalls wird Trude nach Ihnen sehen.«
»Sie sind sehr freundlich«, murmelte sie.
»Nehmen Sie sich in acht. Ebenso falsch, wie es war, mir keine Fehler zu gestatten, könnte es sein, mir unverdiente Tugenden zuzuschreiben.«
»Haben Sie keine? Dann könnte ich Sie also verführen?«
Lachen sprühte aus seinen Augen. »Wollen Sie meine Erlaubnis haben oder meine Meinung wissen? Erstere erteile ich Ihnen ohne jede Beschränkung; die zweite lautet ja, zweifellos.«
»Das könnte Ihnen mißfallen.«
»Warum?«
Seine Wimpern, entdeckte sie, besaßen goldene Spitzen, die wie eine strahlende Barriere seine Gedanken abschirmten. Trotzdem gab es etwas dahinter, das wie eine Warnung auf ihre verwirrten Sinne wirkte und sie augenblicklich zur Vorsicht mahnte. Das Strahlen in ihrer Miene erlosch. Sie löste ihre Hand und ließ sich zurücksinken. »Männer, so hat man mir gesagt, ziehen es vor, Jäger zu sein.«
»So wie manche Frauen die Beute sein möchten?«
»Ich nicht«, antwortete sie schnell.
»Erwarten Sie, daß ich deshalb meinen Instinkten Einhalt gebiete und glücklich und ergeben abwarte, bis Sie mich überwältigen?«
»Das könnten Sie nicht.«
»Ich könnte das nicht? Das wäre mir neu.«
Er schien sie zu einem Wettkampf herauszufordern, obwohl sie das mit ihrem cognacgetrübtem Verstand nicht si-cher zu sagen wußte. Aber wenn es tatsächlich eine Herausforderung war, dann war es eine, der sie sich im Augenblick nicht stellen konnte. Sie erlaubte sich ein Gähnen, das sie mit ihrem Handrücken abschirmte. »Meinetwegen. Morgen.«
»Die Sonne geht auf. Es ist Morgen.«
»Sie werden sich gedulden müssen.«
Er ließ sie sanft in die Kissen sinken und zog dann das Leinentuch und die Bettdecke über sie. In seiner Stimme lag ein Zittern, das vielleicht von Heiterkeit herrührte, als er antwortete: »Aber wie soll ich das ertragen?«
Das Arrondisment, in dem das Haus der ruthenischen Königsfamilie stand, wurde das Marais genannt. Der ehemalige Sumpf war Stück um Stück aufgefüllt und bebaut worden, als die Stadt anwuchs. Da es in der Nähe des alten Louvre-Palastes und der Tuilerien lag, hatte es sich im Laufe der Jahre zu einem höchst vornehmen und aristokratischen Bezirk mit vielen feinen, palastartigen Wohnhäusern gewandelt. Der Verfall hatte eingesetzt, als der Adel von Ludwig XIV. gezwungen worden war, mit ihm nach Versailles zu ziehen; die Revolution hatte den Niedergang noch beschleunigt. Nachdem Napoleon als Kaiser die Tuilerien besetzt hatte, wurden die großen Häuser allerdings von neuem bezogen und blieben auch nach der Rückkehr der Bourbonen und der Orleans auf den Thron bewohnt. Inzwischen bildete der Stadtteil eine einzigartige Mischung aus Elendsquartieren und vornehmen Residenzen, in dem der Adel auf Tuchfühlung mit den Nachkommen der Sansculotten lebte und alle von den Künstlern und Schriftstellern unterhalten wurden, die in den Mansarden des Viertels wohnten.
Die schlicht »Ruthenisches Haus« genannte Residenz des Prinzen war aus demselben blaßgoldenen Stein erbaut, aus dem so viele Gebäude der Stadt bestanden. Der aus unzähligen Schornsteinen aufsteigende Ruß hatte im Verlauf der Jahre diesen Stein schwarz überzogen, so daß er inzwischen ebenso matt und fahl, aussah wie der Rest der Stadt. Das massive schmiedeeiserne Gittertor mit dem eingelassenen ruthenischen Wappen schirmte einen kopfsteingepflasterten
Kutschhof ab, den größten von vier solcher Höfe, die das rechteckige Gebäude umschloß.
Die Zimmer umgaben ringsum die vier Seiten jener Höfe, die praktischerweise nach den vier Himmelsrichtungen benannt worden waren. Der größte und Eingangshof war der Südhof. Die Anordnung verlieh dem Bau ein Gefühl der Offenheit, auch wenn der Außenwelt nur eine geschlossene Fassade präsentiert wurde, und führte dazu, daß durch die hohen, bleigefaßten, teilweise farbigen Fenster reichlich Licht und Luft in die Zimmer drangen. Der Eingangshof war als einziger eher nach praktischen Gesichtspunkten konstruiert und mit Pflastersteinen ausgelegt; er wies lediglich eine Diana-Statue sowie ein Halbrelief über der Eingangstür auf, auf dem vier griechische Frauen als Allegorie auf die Jahreszeiten
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