Zigeunerstern: Roman (German Edition)
als habe er mich erwartet. Er lächelte mir mit dem kurzen verstohlenen Loiza-Lächeln zu, betrachtete mich prüfend mit diesen bestürzenden Augen. Jung, ja, gewiss, kaum älter als ein Junge. Und doch war er bereits der ganze vollkommene Loiza la Vakako. Besaß diese fürstliche Ausstrahlung. Die Nüchternheit des Geistes, die Schlankheit der Seele. Die durchdringende schlaue Klugheit. Und jene Stille, die keineswegs mit empfindungsloser Trägheit verwechselt werden darf, sondern vielmehr Ausdruck des vollkommenen Sieges über das eigene Selbst darstellt.
»Mein erster Tagesspuk«, sagte er. »Willkommen, wer immer du bist.«
»Du kennst mich nicht?«
»Noch nicht«, sagte Loiza la Vakako. »Komm, geh mit mir! Du bist hier auf Nabomba Zom.«
»Das weiß ich«, sagte ich. »Ich werde hier eines Tages ein paar Jahre lang leben, wenn du älter bist und ich jünger. Und ich werde der Geliebte deiner Tochter sein. Und ich werde mit dir ins Verderben stürzen.«
»Ah, ist das so«, sagte er. »Meine Tochter. Und mein Untergang.« Er blieb ganz gelassen. »Dann bist du es also. Und du bist ein König, nicht wahr?«
»Kannst du das erkennen?«
»Selbstverständlich. König erkennen einander immer. Sag mir deinen Namen, König, und ich will auf deine Wiederkehr voll heißen Eifers warten.«
»Nie habe ich einen Menschen wie dich gekannt«, sagte ich. »Du bist der weiseste Mensch, der jemals lebte.«
»Wohl kaum. Ich bin nur etwas weniger töricht als mancher andere, weiter nichts. Dein Name, o König.«
»Yakoub Nirano. Rom baro .«
»Aha. Der Rom baro! Und du wirst meine Tochter lieben, ja?«
»Und sie verlieren.«
»Ja. Natürlich wirst du sie verlieren. Und sie später wiederfinden? Vielleicht?«
»Nein. Nein, niemals mehr.«
Das feine Gesicht wurde ernst. »Wie wird ihr Name lauten, alter Mann?«
Ich zögerte. Was ich da tat, war alles in allem streng verboten. Doch dann meinte ich, dass ich so lange gelebt hatte, endlos, über das Ende des Universums hinaus, mit dem alle die alten Gebote hinfällig geworden waren.
»Malilini«, sagte ich darum.
»Ein schöner Name. Doch. Ja. So werde ich sie nennen. Höchstwahrscheinlich.« Und wieder dieses rasche flüchtige Lächeln. »Und du wirst sie lieben und sie verlieren. Malilini. Wie traurig, Yakoub Nirano.«
»Aber ich werde auch dich lieben«, sagte ich. Doch schon fühlte ich, dass ich durchsichtiger wurde; und dann wirbelte ich davon. »Und werde auch dich verlieren …« Und dann war ich fort. Wirbelte, wirbelte hilflos dahin.
2
Dieses Tier da, unbeschreiblich seltsam. Der Doppelhöcker, die mächtigen vorstoßenden gummiartigen Lippen des Mauls. Ich glaube, dieses Geschöpf nannten sie einst ›Kamel‹. Aber dann muss dies hier die Erde sein. Ich befinde mich an einem trockenen sandigen Ort, in der Ferne ragen gezackte graue Bergzinnen in beunruhigend kippenden Winkeln empor, über der von Gestrüpp bewachsenen Ebene kreisen unablässig wirbelnde Winde. Eine Karawane, Menschen in ausgefallenen Kleidern, dunkelhäutige Menschen mit grobem schwarzen Haar, mit funkelnden Augen, blitzendem Lachen. Schwarze Filzzelte. Hüte mit breiten hochgeschlagenen Krempen. Ich habe den Ort und diese Menschen nie vorher gesehen, doch ich kenne sie.
Eine Schmiedeesse unter freiem Himmel dort drüben, der Blasebalg aus Ziegenhaut, große schwere Hämmer, zwei Schmiede schlagen auf rotglühendes Metall ein. Dort, drei Mädchen, die Seite an Seite dahinschreiten, unnahbar, geheimnisvoll, als wären sie Priesterinnen einer unbekannten Gottheit. Eine Frau mit den Falten von zehntausend Jahren im Gesicht hantiert geschäftig mit Bohnenkernen, getrockneten Grasstängeln und Schafsknöcheln und weissagt einem glotzenden jungen Gajo die Zukunft. In der Nähe der Klang einer Flöte. Der Duft von bratendem, scharfgewürztem Fleisch.
Ich nehme sichtbare Gestalt an. Ein Junge tänzelt zu mir her und starrt mich ohne Furcht an.
»Sarishan«, sage ich. »San tu Rom?«
Er hat riesige schimmernde Augen, ein bezauberndes Lächeln, verschmitzt und gescheit, und wirkt überhaupt aufgeweckt und geschickt. Er antwortet mir nicht, sondern starrt mich nur weiter an.
Ich deute mit der Hand auf mich. »Yakoub«, sage ich. Ich berühre sein Kopftuch. »Diklo.« Meine Nase. »Nak.« Meine Zähne. »Dand.« Meine Haare. »Bal.« Er scheint gar nichts zu verstehen. Inzwischen schauen ein paar andere Zigeuner zu uns herüber. Die alte Wahrsagerin lächelt und blinzelt mir zu.
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