Zigeunerstern: Roman (German Edition)
sagst mir das?«
»Um aller Himmel willen, Yakoub, hier bricht jeden Augenblick ein Krieg aus. Willst du dich denn umbringen lassen? Diese wahnsinnigen Gaje-Trottel fangen an, sich gegenseitig ins Nichts zu bomben!«
»Du bist etwas phasenverschoben, Valerian. Dieser Krieg läuft bereits. Schau mal, kannst du den Riss in der Wand hier nicht sehen? Eine Implosionsbombe, vor einer halben Stunde, nebenan.«
»Es wird aber viel schlimmer werden. Ich will dich doch nur warnen.«
»Also schön. Was wird passieren?«
»Alle werden sterben, Yakoub. Geh fort von hier, solang du noch kannst. Und nimm alle anderen mit dir. So hör doch! Ich stehe auf der Zeitlinie nur zwei Wochen vor euch … Begreif doch, nur zwei Wochen, mehr nicht, und dann bricht hier in der Capitale die Hölle los. Ich bin mir nicht mal sicher, was los ist. Ich bin nur gleich gekommen, als ich gehört hatte, was sich hier tut. Du musst abhauen! Sofort!«
»Du bist nicht der erste Mensch, der mir das heute sagt.«
»Jaja. Vielleicht bin ich dann der letzte, wenn du dich nicht in Bewegung setzt.«
Müde und ausgelaugt sagte ich: » Ach setz du dich doch in Bewegung, Valerian! Geh und spuk ein bisschen auf Megalo Kastro rum, ja? Oder Iriarte. Atlantis. Ich muss jetzt eine Weile allein sein. Ich muss nachdenken.«
»Yakoub …«
»Ach, geh schon, verschwinde! In Gottesnamen, Valerian, lass mich in Ruhe!«
Er warf mir einen langen vorwurfsvollen Blick zu, dann schüttelte er betrübt den Kopf. Und dann war er verschwunden. Und hinterließ mir nichts als sein Summen und statisches Knistern. Nein, nicht in meinem Zimmer, sondern nur in meinem Gehirn. Ich begann zu begreifen, dass ich mich allmählich der Überlastungsschwelle näherte.
Ein heißes Bad, dachte ich … Ein Nickerchen … Ein, zwei Gläschen von was Hochprozentigem … Ein paar stille Viertelstunden, ganz für mich allein …
So vieles musste entschieden werden. Sollte ich aus der Capitale abreisen, wozu mir Chorian und Valerian so dringlich rieten, und die Gjae-Lords sich gegenseitig zerfleischen lassen, wie sie dies so sehnlich wünschten? Oder sollte ich bleiben und weiter versuchen, die künftigen Geschehnisse zu formen und zu beeinflussen? Sunteil in eine Falle locken und ihn dann an Naria ausliefern? Oder den Roma-Interstellarpiloten in der ganzen Galaxis die Nachricht zukommen lassen, es dürften keine Starts mehr erfolgen, solange Naria auf dem Thron sitzt, so wie Sunteil es dringlich verlangt hatte? Oh, Mulano! Ach, Mulano! Deine friedliche Stille! Deine Abgeschiedenheit!
Und in eben diesem Augenblick erfolgte direkt vor meinem Palast eine gewaltige Explosion. Das ganze Gebäude bebte, und ich glaubte bereits, es werde einstürzen, aber irgendwie hielt das Gemäuer stand.
»Yakoub? Oh, he du, Yakoub!«
Was war denn jetzt schon wieder? Ich schloss die Augen, und auf einmal, ganz plötzlich, fühlte ich die dichte Nähe aller Zigeunerkönige, fühlte, wie sie in mir wieder keimten und knospten, diese ganze große Schar, wie sie einander hin- und herdrängten, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der rotbärtige Ilika, der kleine Chavula – und Cesaro o Nano und alle, alle die anderen. Die Könige untergegangener Roma-Königreiche, die Könige noch nicht bestehender imperialer Dominions … manche flüsterten … andere brüllten mir zu. Sie sagten mir Geschichten aus dem Vergangenen und aus dem Kommenden, sie stopften mich voll mit Geschichten vergangener Größe und künftiger Größe, bald, irgendwann würde diese sich zeigen, aber sie redeten alle zugleich und durcheinander, und ich war nicht imstande, irgend etwas zu verstehen. Ihre Augen waren wildfunkelnd, die Stirnen glitzerten von Schweiß. Ich flehte sie an, mich in Frieden zu lassen. Aber nein! Sie wurden nur immer heftiger und zudringlicher. Sie wirbelten im Kreis um mich herum und herum, sie zerrten mich am Ärmel wie Straßenbettler, erzählten mir dies und befahlen mir das, unbegreifbares Zeug, und immer mehr von dem und jenem, bis ich fast von irrer Bedrängnis nahe daran war, zu brüllen und zu kreischen.
»Yakoub?«, drang eine vertraute Stimme durch den ganzen Wirrwarr an mein Ohr. »Yakoub, höre mich!«
Meine Stimme. Mein Geist-Selbst kam in mein Zimmer. Langsam und gemessenen Schritts.
Ich starrte … mir selbst ins Gesicht. Das Gesicht sah seltsam anders aus, verwandelt, unvertraut fremd, nicht wie das Gesicht, das zu sehen ich mein ganzes Leben lang mich gewöhnt hatte. Etwas in den Augen …
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