zorneskalt: Thriller (German Edition)
es, Rachel, das weißt du hoffentlich – dass Clara und du Freundinnen wart, hat niemanden mehr überrascht als Niamh. Jedenfalls hat es danach noch viel Streit gegeben. Simon bekam ein Jobangebot aus den Staaten und wollte es gern annehmen und mit Clara nach drüben gehen, aber Niamh hat ihn angefleht, es nicht zu tun.« Sie nahm einen kleinen Schluck Tee und stellte ihre Tasse sanft auf die Untertasse zurück. » Schließlich trafen sie eine Übereinkunft. Er hat darauf bestanden, solange Clara ein Kind sei, dürfe Niamh ihr nicht sagen, dass sie ihre Mutter war. Aber sobald sie erwachsen und alt genug wäre, eigene Entscheidungen zu treffen … Er wusste, dass er ihr dieses Wissen nicht ewig vorenthalten konnte.«
» Und sie hat zugestimmt, einfach so?« Es überraschte mich, dass meine Mutter sich an anderer Leute Regeln gehalten haben sollte.
» Was ist ihr anderes übrig geblieben? Sie hat doch alle sitzen lassen. Kein Richter hätte ihr das Sorgerecht zugesprochen. Clara war damals ein Baby, und Simon … Für ihn war’s schrecklich schwierig, er war ja selbst kaum erwachsen, als es passiert ist. Aber er hat sich rührend um Clara gekümmert. Für dieses Kind hätte er alles getan.« Ihr Blick ging zum Fenster hinüber. Einfallendes Sonnenlicht schien mir ins Gesicht, ließ mich blinzeln . Ich verä nderte meine Haltung, um ihm auszuweichen.
Ich dachte an deinen Vater, für den du stets der Mittelpunkt seines Universums gewesen warst. Du hast ihn oft geneckt, Clara. Wann findest du endlich eine Freundin, Dad? Und er hatte welche, aber die Beziehungen waren flüchtig, niemals ernsthaft. Du hast so viel von seiner Welt ausgefüllt, dass für sonst niemanden Platz war. Das erschien jetzt logisch. Sein Kampf, für dich zu sorgen und zugleich Karriere zu machen, ein Leben für euch beide zu erschaffen. Weshalb hätte er irgendetwas tun sollen, das all das gefährdet hätte?
» Der arme Simon, er hatte so schwierige Zeiten durchgemacht, und dann die Sorge, er könnte Clara ganz verlieren.« Laura seufzte.
Ich bemühte mich, alles langsam aufzunehmen, mir zu merken, was sie erzählte, damit ich die Fakten klar und geordnet im Kopf hatte, wenn ich sie verließ.
» Das verstehe ich nicht«, sagte ich. » Warum hätte er sie verloren?«
» Du hast deinen Großvater kaum gekannt, nicht wahr?«, fragte Laura.
Ich dachte an das verschwommene Bild eines weißhaarigen alten Mannes mit Bart, in dem oft Krümel von seiner letzten Mahlzeit hingen. An den Geruch von Pfeifentabak. Das war alles, woran ich mich erinnerte.
Ich schüttelte den Kopf.
» Hmmm«, sagte sie, als wäre die Geschichte ihres Vaters der Schlüssel zu allem. » Nun, deine Mutter war immer sein Liebling. Sie hatte schon als kleines Kind nichts falsch machen können. Er hat ihr jeden Wunsch erfüllt. Ich meine, sie hat alles bekommen, was sie wollte. Er hat sie über alle Maßen verwöhnt, das konnten wir alle sehen. Und dann ist sie hingegangen und schwanger geworden, und wir dachten, er würde durch die Decke gehen, weil er so streng war. Aber nein, er hat ihr erklärt, sie solle sich keine Sorgen machen, ihre Familie werde immer hinter ihr stehen. Und dann wurde Clara geboren, sein erstes Enkelkind, und er hat sie abgöttisch geliebt, er hat sie am Wochenende stundenlang im Kinderwagen herumgeschoben, auf seinen Schoß gesetzt und ihr Kinderlieder vorgesungen, er hat ihr Geschichten erzählt und sie gekitzelt und zum Lachen gebracht. Er war ganz und gar verschossen in seine kleine Clarabella«, sagte sie, und die Ressentiments gegen ihren Vater machten ihre Stimme scharf.
» Als Niamh dann abgehauen ist, war er am Boden zerstört. Er konnte nicht verstehen, wie jemand so etwas tun konnte. Ausgerechnet seine Tochter, seine Lieblingstochter! Deshalb hat er darauf bestanden, Simon auf jede erdenkliche Weise zu helfen. Er hat Clara an den Wochenenden versorgt und eine Kinderbetreuung organisiert, damit Simon studieren konnte. Und als genügte das nicht, beschloss er, es wäre für alle am besten, wenn Cl ara bei unserer Mutter und bei ihm lebte. Der Mann war nicht ganz bei Trost.«
» Davon war Simon vermutlich nicht gerade begeistert?«, fragte ich.
» Großer Gott, nein, er war wütend, und wer hätte ihm das verübeln können? Er hatte immer geglaubt, mein Vater böte ihm seine Hilfe aus schierer Güte an, statt zu versuchen, ihm seine kleine Tochter zu stehlen. Mein Vater hat damit gedroht, das Sorgerecht einzuklagen, Anwaltsbriefe gingen hin
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