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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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faßte er es an den Schultern und küßte es herzlich auf beide Wangen.
    Dr. Racek wandte den Blick ab und blieb stehen.
    »Fein, daß ich dich endlich wieder einmal sehe, Kurt«, sagte Darinka deutsch und fuhr dann französisch fort: »Ich habe meinen Landsmann mitgebracht, von dem ich dir erzählt habe. Macht euch bekannt, Dr. Michal Racek aus Brünn. Und das ist mein guter Freund Kurt.«
    Michal Racek verneigte sich leicht. Mit einem Schlag fühlte er sich sehr elend. Was sollte er hier? Mein guter Freund Kurt! Und warum nicht? Was hatte das mit ihm zu tun? Die beiden schien etwas zu verbinden, von dem er keine Ahnung hatte, sonst würde sie doch der Mann nicht vor allen Menschen so selbstverständlich küssen. Aber warum mußte er dabeisein?
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Doktor.«
    Schon gut, dachte Michal, aber deinen Namen verrätst du mir nicht.
    »Was wollt ihr essen, meine Lieben?« Der Mann namens Kurt hatte gescheite helle Augen. Sie betrachteten den verdatterten Michal halb belustigt und halb verständnisvoll. Wenn er dagegen Darinka ansah, flammte eine sehnsüchtige und zugleich väterliche Zärtlichkeit in ihnen auf. »Sucht euch etwas Anständiges aus. Einmal können wir uns das erlauben. Auch würde ich gern auf den Herrn dort am Fenster einen guten Eindruck machen. – Du bist heute besonders hübsch, Darinka. Woher hast du die Bluse? Steht dir gut.«
    »Gefällt sie dir? Anita hat sie mir hiergelassen, als sierüberging. – Nun, Michal, haben Sie schon etwas ausgesucht? Für mich bitte eine Bouillabaisse, Kurt.«
    Als sie vorhin im alten Hafen der Polizeistreife fast in die Arme gelaufen waren, als sich Darinka bei ihm einhängte, hatte Michal Racek das sonderbare Gefühl, vor etwas Wichtigem zu stehen. Er wußte natürlich, daß es in Frankreich nicht nur Okkupanten und Kollaborateure gab. Es war ihm bisher allerdings nicht in den Sinn gekommen, daß das auch mit ihm etwas gemein haben könnte. Selbst als er dem Mädchen seine Hilfe anbot, hatte Michal keinen konkreten Entschluß gefaßt. Er ließ die Dinge auf sich zukommen, hatte bloß das unbestimmte Empfinden, an Darinkas Seite einem unbekannten Abenteuer entgegenzusteuern.
    Und in Wirklichkeit ...
    »Ich nehme auch eine Bouillabaisse«, sagte er schnell, um sein peinliches Schweigen zu unterbrechen.
    »Also, Monsieur, dreimal Bouillabaisse, und bringen Sie uns dazu einen anständigen Chablis. Für die Dame zudem ein Glas Mineralwasser, nicht wahr, chérie? Und lassen Sie uns nicht lange warten.«
    »Sehr wohl, Monsieur!« Der Kellner nahm die Speisekarte, verneigte sich und verschwand.
    Darinka brach in Lachen aus. »Kurt«, sagte sie und legte ihm vertraulich die Hand auf den Arm, »aus dir wird noch ein perfekter Franzose.«
    »Der Mensch paßt sich bekanntlich seiner Umgebung an. Aber ich habe euch noch nicht gesagt, wer der distinguierte Herr dort beim Fenster ist. Na, Darinka? Das wirst du nicht erraten: der Herr Polizeipräfekt persönlich. Ich habe herausgekriegt, daß er dieses Restaurant bevorzugt, und seitdem gehe auch ich hier ein und aus.«
    »Übertreibst du nicht ein bißchen?« Darinka wurde unruhig.
    »Keine Angst, Kleine. Wo der Wolf jagt, gibt es keine Füchse. Ein ungefährlicheres Lokal kannst du in der ganzen Stadt nicht finden.«
    Sie sprachen abwechselnd deutsch und französisch.Dr. Racek beherrschte beide Sprachen ganz gut. Dennoch schien es ihm, daß er überhaupt nichts verstand. Er konnte den leichten Ton ihrer Unterhaltung und die Ungezwungenheit ihres Benehmens nicht begreifen und schon gar nicht die besondere Beziehung zwischen ihnen, die in ihren Blicken zum Ausdruck kam, in einer Handbewegung, in der selbstverständlichen Vertrautheit.
    »Wie steht es mit Ihrer Abreise, Herr Doktor? Haben Sie schon Ihre Schiffskarte? Darinka erzählte, Sie hätten damit Schwierigkeiten.«
    »Die üblichen. Aber jetzt muß sie schon jeden Tag eintreffen.«
    »Wir sollten Sie eigentlich beneiden, nicht, Darinka? Amerika, die freie Welt! Zum Glück sind wir nicht so schlecht.«
    Solange der Kellner an ihrem Tisch zu tun hatte, behielt Kurt diesen leichten Plauderton bei. Dr. Racek begriff das allmählich. Er merkte auch den raschen Blick des Mannes zur Tür, wann immer neue Gäste erschienen. Es waren nicht viele, der Speisesaal leerte sich eher. Nur der Polizeipräfekt saß ruhig am Fenster und trank seinen dunkelroten Wein.
    »Kurt, hast du etwas für mich?« fragte Darinka auf einmal in ihrer unvermittelten Art. »Dr.

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