Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
zuadraht

zuadraht

Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
Vom Netzwerk:
des Weges schwiegen wir, bis zwischen periodisch auf – und abtauchenden Baumriesen schmächtige Schatten hervortraten, die sich in ihrer Emsigkeit und Umtriebigkeit wie loses Mottengewirr ausmachten. Eilig aufgestellte Scheinwerfer suchten die trübe, diffuse Düsternis zu durchdringen, Blitzlichter spritzten auf, so auch jene der beiden Vögel, die es wieder einmal vor mir geschafft hatten. Und inmitten allen Gewirrs und im Epizentrum des Sperrkreises, mit rotweißem Plastikband zwischen den umstehenden Bäumen gezogen, fand sich der Hauptdarsteller dieser schaurigen Inszenierung, der als einziger beharrlich stillhielt und aus erhöhter Position auf die anderen hinabschwieg. Er hing gut drei Meter vom Stamm einer uralten Eiche entfernt an einem mächtigen, exakt waagrecht verlaufenden Ast. Ein gewachsener Galgen, wie ihn die Natur nicht perfekter hätte formen können. Nun machte ich auch Michelin aus. Er hatte mir den Rücken zugewandt, stand in weißer Schutzkleidung auf der zweiten Sprosse einer Stehleiter, die zwischen Stamm und Leiche gelehnt war, und wuchtete sich soeben auf die dritte und auf Augenhöhe mit dem Landesrat.
    „Warum hängt der immer noch da herum, Willi?“ Fauler wandte sich abrupt um, als er meine Stimme hörte. Seine Bewegungversetzte den Ast in Schwingungen, die sich wellenförmig auf den Körper des Toten übertrugen. Der gemeuchelte Moser schien mit einem Mal wieder belebt und tänzelte leichtfüßig durch die Luft. Jetzt ist es einmal umgekehrt, dachte ich, jetzt hat einer von uns die Fäden in der Hand, und der Drahtzieher ist die hüpfende Marionette.
    Fauler war mein besorgter Blick nicht verborgen geblieben. „Keine Angst, Ferri. Der Ast hält auch mich noch aus.“
    Ich insistierte. „Warum, Willi?“
    „Das scheiß verdammte Laub“, raunte er herab. „Und der Regen. Seit gestern Abend hat es wie aus Kübeln gegossen. Das da unten kannst du vergessen. Rein spurentechnisch, meine ich. Und deshalb muss ich sehen, was ich da heroben kriegen kann. Dem da machen ein paar Minuten länger auch nix mehr aus.“ Willi wandte sich wieder dem toten Landesrat zu. „Sieh dir das an, Ferri“, fuhr er fort und ließ den gleißenden Strahl seiner Lampe auf das Antlitz des Toten fallen, so schlohweiß wie sein Haar auch. „So eine Sauerei.“ Ein eisiger Blitz durchfuhr mich, als mein Blick einer dunklen Blutspur folgte, die seitlich von Hals, Kinn und Wange über das Ende eines über dem Mund fixierten Klebestreifens bis unter das rechte Lid des Toten emporführte und unter einem Blatt Papier mündete, das die obere Gesichtshälfte bedeckte und in dessen Mitte ein silberfarbenes Etwas steckte. „Als hätte ihm einer ein Brett vor den Kopf genagelt“, schnaufte Michelin. „Nur dass das Brett ein Stück Papier ist und der Nagel ein Kugelschreiber. Mitten ins Auge, Ferri. So eine Sauerei. Und ich trau mich wetten, noch bevor er aufgeknüpft worden ist.“
    Ich glaubte aus der Entfernung einen dünnen Schriftzug auf dem Blatt auszumachen. „Steht da was drauf?“
    „Ja. Monster. In Versalien. Fragt sich nur, wer damit gemeint ist.“
    „Monster?“ Das ist doch pervers, dachte ich. „Ist das die Art von Symbolik, derer sich ein mordender Journalist bedient?“ Willi wusste, worauf ich hinauswollte. „Jedes Genre hat seine Eigenheiten, Ferri. Und jede soziale Schicht. Und jede Volksgruppe. Oder fast jede. Das ist wie damals, weißt du noch, als ein alter Türke in Wien seine Tochter dem Sohn einer befreundeten Großfamilie versprochen hat?“
    „Ja, ja, ich weiß schon“, sagte ich. Aber das Mädchen hat sich geweigert und ist abgehauen, dachte ich, und dann haben die ganze Schande und der ganze Zorn mit ganzer Wucht den Herrn Papa getroffen.
    „Die haben ihn abgestochen wie ein Schwein“, sagte Michelin.
    Obwohl der Türke, also der moslemische Türke, hat unser Kripochef, der Feichtlbauer, damals gesagt, dachte ich, als wir den Fall diskutiert haben, das Schwein ja nicht absticht, aber einen Vater, der das Eheversprechen nicht einhält, wenn es sein muss, sehr wohl. „Und der letzte Stich ging mitten in den Arsch hinein, als Demütigung für ihn und seine Familie?
    „Genau?
    „Seit wann hängt er da, Willi?“
    „Weiß nicht, aber mit Sicherheit schon einige Zeit. Wahrscheinlich die ganze Nacht über. Die Totenstarre hat voll eingesetzt. Das passiert erst nach sechs bis neun Stunden, je nach Temperatur. Außerdem hat er einen Anzug für den Abend an.“
    Natürlich. Moser

Weitere Kostenlose Bücher