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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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Ein Fährmann in Direktorspose, fast schon ein Klassiker, überlegte ich, das klein karierte Sakko lose um die Schultern geworfen mit schlaff baumelnden Ärmeln, die bei leisester Körperdrehung in kreisenden Bewegungen zu tanzen beginnen, gekünstelte, künstlich erzeugte Dynamik, gleich den Sesselschleudern in Vergnügungsparks, und die Hände vor dem Bauch, frei und allzeit bereit für gewichtige Gestik oder zumindest, um mit triefendem Schwamm nach Kindsköpfen zu werfen.
    „Wie schaffen Sie das?“, wandte ich mich an den Direktor.
    „Wie schaffe ich was?“
    Ich habe es oft probiert, dachte ich, damals mit achtzehn, als wir nur restlos chic waren, wenn das Klacken genagelten Schuhwerks unseren erhabenen Maturantengang begleitete, oft probiert und nie verstanden, wie sie es auf den Schultern halten, so ganz und gar frei hängend, ohne Clips von einem Revers zum andern. Ist es antrainierte Kunst, bei der Lehrerausbildung in Seminaren gelehrt? Ist es die Erhabenheit der Berufung? „Das Sakko. Dass es hält“, antwortete ich und tippte begleitend mit der Rechten an die linke Schulter.
    Direktor Fehrmann mit E würdigte mich eines langen, reglosen Blickes, ehe er die Stirn in Runzeln legte, sich von mir abwandte und zu Fauler hin sprach: „Hat der hier das Sagen?“ Michelin nickte stumm. „Magister Geier hat einen Schlüssel zur Schule“, fuhr er fort, immer noch zu Michelin gewandt, er gibt Nachhilfe . . . er gab, meist abends.“
    „Gibt es eine Frau Geier?“, fragte Stillhofer, der mit fast schon dentistischem Interesse über den toten Geier gebeugt stand und in den weit aufgerissenen Schnabel äugte.
    „Ja“, sagte Direktor Fehrmann mit E. „Die Frage ist: Wie lange noch.“
    „Was soll das heißen?“ wandte ich ein.
    „Erklären Sie einer bald Achtzigjährigen, dass sich die paar Jährchen, die ihr und ihrem Mann mit Gottes Gnade vielleicht noch geblieben wären, unter einem Plastiksack aufgelöst haben, den man ihm über den Kopf gestülpt hat, unter dem Plastiksack eines Diskonters noch dazu, wenn ich nicht irre? Direktor Fehrmann mit E sprach weiterhin zu Michelin hin, als hätten seine Ohren verlernt, die Richtung des Schalls zu bemessen. „Ein Diskontersack. Als ob die Existenz eines alten Mannes keinen Wert mehr hätte“, setzte er fort. „Und dann erklären Sie ihr, dass das Leben trotzdem schön ist und weitergeht. Ungebrochen.“
    „Wer hat den bedauernswerten Herrn Professor gefunden? Der Portier?“ fragte Stillhofer, dessen Blick nach wie vor auf den toten Geier geheftet war. Du bist ein schlaues Kerlchen, Stillhofer, dachte ich, den bedauernswerten Herrn Professor zu sagen, das zeugt von Respekt und schafft Nähe.
    Die Miene von Direktor Fehrmann mit E hellte merklich auf. „Vier Schüler, die gemeinsam aus der Garderobe heraufgegangen sind. Sie sind im Lehrerzimmer, der Hausseelsorger hat sich ihrer angenommen.“ Fehrmann mit E seufzte theatralisch. „Die armen Buben, sie sind völlig geschockt. Der Portier geht für gewöhnlich nur von Klasse zu Klasse und sperrt auf. Es gibt keinen Grund, warum er in jedes Zimmer hineinsehen sollte.“
    „Und das Reinigungspersonal?“, fragte ich.
    „Montags niemals“, sagte Direktor Fehrmann mit E an mir vorbei. „Montag Schule, Dienstagfrüh putzen. Dienstag Schule, Mittwochfrüh putzen. Samstag Schule, Sonntagfrüh putzen. Sonntag keine Schule, Montagfrüh nicht putzen. So einfach ist das. Montags also niemals.“
    „Natürlich nicht“, erwiderte Stillhofer. Das Zucken seiner Mundwinkel zeugte von gebändigter Heiterkeit.
    „Rede du mit den vier Buben“, wandte ich mich an Stillhofer. „Vielleicht ist der Herr Direktor so freundlich, dich zu ihnen zu bringen.“
    Stillhofer schien sich kaum vom toten Geier losreißen zu können, bewegte sich schwerfällig zur Türe hin und streifte die Plastikbezüge mit ruckenden Bewegungen von den Schuhen. „Kommen Sie, junger Mann“, sagte Direktor Fehrmann mit E unter ausladender Geste. „Natürlich ist der Herr Direktor so freundlich.“ Er lüpfte das Sakko mit Blick auf die linke Schulter und fügte hinzu: „Es ist eine Frage der Wurde, wissen Sie?“ Dann verschwand er ums Eck und Stillhofer mit ihm.
    „Es ist eine Frage der Würde, wissen Sie?“ Michelin wiederholte die Worte von Direktor Fehrmann mit E und prustete los.
    „Kann es sein, dass ich übertrieben habe, Willi?“
    „Ja, das kann sein.“ Michelin schürzte die Lippen und versank für einen langen Atemzug in

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