Zurück ans Meer
deutlich, dass Sie viel Gewissenserforschung
betrieben haben«, sagte sie nachdenklich, »aber die meisten Ihrer Schlussfolgerungen hatten anscheinend eine intellektuelle
Grundlage. Als Sie dann Joan Eriksons Theorien über die Wirklichkeit kennenlernten, damit zu arbeiten begannen und sich nach
Machu Picchu aufmachten, wurde Ihre Reise körperlicher. Aber meiner Meinung nach müssten Sie sich noch auf eine rein spirituelle
Reise begeben. Haben Sie das schon mal in Erwägung gezogen?«, fragte sie.
»Natürlich habe ich das«, versicherte ich ihr, »doch es ist schwer, dafür die Zeit und den Ort zu finden.«
»Vielleicht ist es das, was fehlt – wonach Sie sich sehnen, wie ich spüre, und was Ihre Leserinnen noch hören müssen.« Ich
stimmte völlig mir ihr überein, doch abgesehen vom Besuch einer örtlichen Kirche oder der Hinwendung zu einemklösterlichen Leben fiel es mir schwer, ihre wertvolle Anregung aufzugreifen.
Das heißt, das war so bis vor Kurzem, als ich einen Brief von einer Mrs MacDonald bekam, einer Schottin, die mir völlig überraschend
ihr Cottage auf der Insel Iona anbot. Ich brachte in Erfahrung, dass sie eine Art Philanthropin ist, die Freude daran hat,
ihr Haus Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und Sucherinnen zur Verfügung zu stellen, vor allem jenen, die in der Frauen-,
Umwelt- und Weltfriedensbewegung aktiv sind. Anscheinend war sie in einem Flughafen auf meine Bücher gestoßen und davon so
angetan, dass sie mir diese Einladung zukommen ließ. Ich war verblüfft, amüsiert und fasziniert, aber als ich Robin den Brief
zeigte, reagierte er sofort abweisend. »Hattest du nicht vor, deine Reisen einzuschränken?«, fragte er. »Und woher soll das
Geld für so eine Reise überhaupt kommen?«
Widerstrebend stimmte ich zu, aber ich warf den Brief nicht fort. Stattdessen heftete ich ihn an meine Pinnwand und blickte
immer wieder darauf, wenn ich etwas zum Träumen brauchte. Jedes Mal, wenn ich auf die Einladung schaute, hörte ich meinen
schottischen Vater sagen: »Irgendwann in deinem Leben, Joan, musst du nach Iona fahren.« Sicherlich hätte ich eine Einladung
für einen x-beliebigen Ort in Schottland bekommen können, aber die Tatsache, dass ich an genau den Ort eingeladen wurde, den
mein Vater mir so ans Herz gelegt hatte, schien mir doch mehr als purer Zufall zu sein. Insgeheim hoffte ich auf weitere Zeichen,
dass diese Gelegenheit nicht an mir vorübergehen würde – schließlich hatte ich Tausende Meilen angesammelt, die für die Flugkosten
ausreichen würden, und dann war da auch diese Nonne, die mich gedrängt hatte, spirituelle Pfade einzuschlagen. Das einzige
Hindernis war meine Mutter, die, wenngleich sie jetzt in ihrem Haus mit einer Hilfskraft zurechtkam, doch das Leben einer
Einsiedlerin führte. Aber dann löste sich auch diese Ausrede auf!
Ganz unerwartet erhielt sie eine Einladung zu einer Cocktailparty in der einzigen Einrichtung für betreutes Wohnen, die sie
je in Erwägung ziehen würde. Da sie die Einladung zu kostenlosem Essen und Trinken niemals ausschlägt, nahm sie teil, und
das Ganze stellte sich als sehr beeindruckend heraus. Sie kam völlig begeistert nach Hause, und ich verspürte zum ersten Mal
eine gewisse Hoffnung in Bezug auf ihre Lebenssituation. Am nächsten Tag rief mich die Verwalterin der Einrichtung an und
sagte mir, das beste Zimmer des Hauses sei frei, und meine Mutter könne es einen Monat lang ausprobieren. Das war wohl das
letzte Zeichen, das ich brauchte.
Daher verspürte ich vor ein paar Stunden, nachdem ich Robin meine Pläne dargelegt und Mrs MacDonald per E-Mail mitgeteilt hatte, dass ich ihr Cottage gerne nutzen würde, einen regelrechten Energiestoß, da ich mir das beste aller Geburtstagsgeschenke
gemacht hatte. Und so bin ich von Jubel erfüllt, als ich auf den Parkplatz des Restaurants schlittere – Schneesturm hin oder
her, jetzt wird gefeiert. Nach einem kurzen Blick durch den Speiseraum entdecke ich meine Freundinnen an einem Ecktisch, dessen
Stühle alle mit Luftballons geschmückt sind. »Ihr Verrückten«, sage ich, eile auf sie zu und drücke ihnen einen Kuss auf die
Wange. »Das wär doch nicht nötig gewesen, aber ich bin froh, dass ihr es getan habt.«
»Wir haben einen sehr passenden Wein bestellt, wie wir finden«, sagt Susan und kann es kaum erwarten, mir das Etikett zu zeigen,
nachdem sie mir eingeschenkt hat.
Ich setze meine Brille auf und halte die
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