Zwei Frauen: Roman (German Edition)
zwischen den Lippen hatte. Mennert stöhnte darüber. »Von wegen!«, fuhr er mich an. »Das sind keine Mediziner-Repressalien, wie Sie das nennen, das sind …« Diesmal zog er mir die Zigarette aus dem Mund und zerdrückte sie im Aschenbecher.
»… das ist so, Eva: Sie sollten nach diesen Richtlinien leben, um das Risiko einer vorzeitigen Neuerkrankung zu vermindern! Wenn Sie rauchen, können Sie sich einen Lungenkrebs holen, wenn Sie trinken, begünstigen Sie einen Leberkrebs. Ihre Leber ist nämlich durch die Chemotherapie ziemlich geschwächt, und deshalb würde sie der Genuss von Alkohol sehr beanspruchen. – Und Fleisch und Nachtschattengewächse fördern ein bösartiges Zellwachstum, darüber gibt es Studien, und die Sonne, … nun ja, … es mag zwar als Symbol für Schönheit und Gesundheit gelten, braun gebrannt zu sein, aber nichts garantiert eine ähnlich rasche Zellteilung wie die ultraviolette Strahlung der Sonne.«
Atemlos und gebannt hatte ich gelauscht, schnell und ohne jegliches Gefühl hatte Mennert seinen Monolog heruntergespult. Jetzt sahen wir einander an und versuchten wohl beide, das zu verkraften. Wie er das machte, war mir ziemlich gleichgültig. Ich hatte genug mit mir zu tun. Zwei Jahre lang hatte ich mit Rückfallerkrankungen und Neuerkrankungen zu tun gehabt. Ich hatte Patienten an einem längst überwunden geglaubten Krebs sterben sehen, aber niemals auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass mir das irgendwann einmal genauso ergehen konnte. Niemals hatte ich diese grausige Möglichkeit in Erwägung gezogen, niemals – und jetzt tat Professor Mennert so, als wäre gerade diese grausige Möglichkeit das Natürlichste
von der Welt und nur durch gezieltes Vorbeugen zu verhindern. Ich wusste nicht, ob ich empört oder erschüttert sein sollte.
»Wie … wie stellen Sie sich das denn vor?«, stammelte ich nach einer Ewigkeit. »Soll ich … soll ich jetzt etwa mein Leben lang …?«
»Sie sollen sich an diese Richtlinien halten!«, fiel Mennert mir ins Wort. »Und wenn Sie darüber hinaus regelmäßig zu Ihren Nachuntersuchungen erscheinen, haben wir die besten Voraussetzungen.«
»Nachuntersuchungen?«, rief ich entsetzt.
»Ja, Eva.«
»Wann?«
»In den nächsten anderthalb Jahren erst mal alle drei Monate, danach dann alle sechs.«
»Was? Das glauben Sie ja wohl selbst nicht! Wenn ich hier raus bin, werde ich dieses Haus nie wieder betreten!«
»Dann wird ein anderes Krankenhaus die Nachsorge vornehmen.«
»Nein! Ich werde überhaupt nie wieder in ein Krankenhaus gehen!«
Mennert erschrak sichtlich, als ich das sagte, und ich sah, dass er spontan etwas darauf erwidern wollte, es dann aber doch nicht tat. Stattdessen stand er auf, trat ans Fenster und blickte hinaus, ganz so, als befänden wir uns in der entscheidenden Szene eines amerikanischen Spielfilms und nicht in der Wirklichkeit.
»Ich weiß, dass das alles sehr schwer für Sie ist«, sagte er.
»Aber Sie sind nun mal eine Risikopatientin und werden es bleiben. Und damit müssen Sie leben, Eva!«
Das war der Augenblick, in dem ich verstand. Lange genug hatte es gedauert, aber jetzt war es so weit, und mir wurde plötzlich klar, worum es ging.
»Und wie lange kann ich damit leben, Herr Professor?«
Mennert rührte sich nicht. Er starrte angestrengt auf das Krokusbeet vor dem Fenster, und ich saß da und wartete, wartete auf die Antwort. Nichts empfand ich dabei. Ich hoffte nichts, ich fürchtete nichts, und ich dachte auch nichts, mir fiel lediglich auf, dass es eine kleine Ewigkeit dauerte, bis sich der Professor endlich wieder zu mir umdrehte.
»Tja, Eva …«, hob er zögernd an, »… das Thema der Lebenserwartung, … das … das ist ein heißes Eisen …« Er blickte mir geradewegs in die Augen, und ich versuchte, mich an diesem Blick festzuhalten, aber es gelang mir nicht. Ich konnte mich nicht konzentrieren, und dann fiel mir in diesem Moment zu allem Überfluss auch noch ein, dass Eisen einen Schmelzpunkt von 1528 Grad und einen Siedepunkt von 2735 Grad hatte … In grauer Vorzeit hatte ich das mal im Physikunterricht gelernt, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, warum ich ausgerechnet jetzt daran denken musste, ausgerechnet jetzt …
»Schauen Sie, Eva, die Statistik spricht in Fällen wie dem Ihren bei der Ersterkrankung von einer neunzigprozentigen Mortalitätsrate. Den verbleibenden zehn Prozent, zu denen Sie ja jetzt gehören, … denen gibt die Statistik dann eine
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