Zwei sündige Herzen: Roman (German Edition)
hier war nicht irgendein Armeescharmützel oder ein Boxkampf. Gideon spielte auf Zeit, er kannte die Gegend, und er hatte getreue Anhänger, die ihn unterstützten. Der arglistige Hinterhalt in den Ruinen zeigte allzu deutlich, dass Rhys beileibe nicht so unverwüstlich war, wie er behauptete. Inzwischen wusste sie, dass sie es niemals verschmerzen könnte, wenn er ein Rendezvous mit dem Tod einginge.
Gerade als Meredith den Reiseumhang zugeknöpft hatte, klopfte es an der Tür. Ehe sie »Herein« rufen konnte, glitt ihr Vater ins Zimmer.
»Vater.« Sie küsste ihn auf die Wange. »Du bist früh auf den Beinen.«
»Gewiss bin ich das. Hast du etwa gedacht, ich würde mich nicht von dir verabschieden?« Er tätschelte ihren Arm. »Und ich wollte kurz mit dir reden, bevor du aufbrichst.«
Sie biss sich auf die Lippe und hatte Mühe, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Hoffentlich war ihr Vater nicht mit dem Ansinnen hergekommen, ihr eine Moralpredigt zu halten, weil sie im Begriff stand, allein mit Rhys zu verreisen. Sie hatten nie über Maddox gesprochen, zumindest nicht im Zusammenhang mit ihrer Ehe, und obschon Meredith annahm, dass ihr Vater wusste, dass sie sich nach dem Tode ihres Mannes den einen oder anderen Liebhaber genommen hatte, hatte er auch darüber nie ein Wort verloren.
»Ich werde unterdes Ihr Reisegepäck nach unten tragen, Mrs. Maddox.« Mit diesen Worten ließ Cora sie allein.
»Komm, setz dich doch.« Sie führte ihn zu ihrem Bett.
Er setzte sich neben sie auf den Rand der Matratze und stützte sich dabei mit den Armen ab. Das schlimmere seiner verkrüppelten Beine hielt er in einem absonderlichen Winkel vom Körper ausgestreckt. Seit dem Feuer, bei dem sein Bein von einem brennenden Holzbalken getroffen worden war, konnte er das Knie nicht mehr richtig beugen. Ihr Herz verkrampfte sich in ihrer Brust. Nach so vielen Jahren, überlegte sie, kam er mit seiner Behinderung vermutlich besser zurecht als sie.
Aus der Miene des alten Mannes sprach tiefer Ernst. »Meredith …«
»Ich werde bleiben«, unterbrach sie ihn und fasste seine Hand. »Wenn es dir nicht recht ist, dass ich fahre, dann brauchst du bloß ein Wort zu sagen, und ich werde …«
»Nein, nein.« Ein leises Lachen presste sich aus seiner Kehle. »Fahr, mein Kind. Amüsier dich. Ich wünschte, ich hätte dir dergleichen bieten können, dir und auch deiner Mutter. Du hast dir weit mehr verdient als diese kurze Reise. Was ich dir sagen wollte, ist lediglich …« Er drückte ihre Hand. »Rhys ist ein guter Mann, Merry. Er hat es schwer gehabt, aber sein Herz ist auf dem rechten Fleck. Gib ihm eine Chance.«
»Oh Vater«, wisperte sie. Ein bittersüßes Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Glaub mir, ich würde nichts lieber tun. Es ist Rhys, der davon nichts wissen will. Eine Chance, nein, an derlei glaubt er wahrlich nicht.« Sie erwiderte seinen tröstlichen Händedruck und flüsterte: »Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Alles, mein Kind.«
»Solltest du Gideon in der Zwischenzeit zufällig begegnen, dann rede ihm einmal gehörig ins Gewissen.«
»Bist du zum Aufbruch bereit?« Rhys stand in Reisegarderobe gekleidet in der Tür.
Ihr Vater erhob sich und begrüßte ihn mit warmer Herzlichkeit. Meredith nutzte den kurzen Augenblick, um sich heimlich eine Träne von der Wange zu wischen. Wenn Rhys Buckleigh-in-the-Moor wieder verließe, wäre ihr Vater gewiss über die Maßen enttäuscht.
Rhys, Gideon, ihr Vater, der Gasthof, das Dorf – Meredith hatte das Gefühl, dass sich ihre Verantwortlichkeiten in letzter Zeit in zu viele Richtungen erstreckten. Nachts wälzte sie sich schlaflos in ihrem Bett und zermarterte sich den Kopf auf der Suche nach einer Lösung. Wie könnte es ihr gelingen, dass jeder zufrieden, glücklich und in Sicherheit war? Bislang hatte sie darauf keine Antwort gefunden.
In der aufziehenden Morgendämmerung nahmen sie Abschied. Rhys half ihr in die Kutsche und drückte sie sanft auf den Platz am Fenster. Er wechselte ein paar Worte mit dem Kutscher, dann setzte er sich auf die gegenüberliegende Bank, klopfte kurz auf das Kutschendach … und sie fuhren los. Die Jagdhunde setzten ihnen den ganzen Weg bis zum Dorf hinaus kläffend nach. Arme Tiere, vermutlich vermissten sie Rhys weit mehr als sie. Zumal sie inzwischen sehr an ihm hingen.
Meredith’ Magen tanzte mit jedem Schwanken der Kutsche, Aufregung prickelte durch ihre Venen. Sie steckte ihre Finger in die
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