Zwei Toechter auf Pump
leuchten im knackend-dürren Wintergeäst wie Granatäpfel. Jetzt drüben vom Wald her ein einzelner Krähenschrei, und mit einem Ruck schwingt sich das ganze Krähenvolk am See in die Luft, die voll ist von ihren schwarzen Flügelschlägen und ihrem Gekrächz. Vielleicht ist irgendwo ein Hase verendet, oder ein Reh hat den Kampf gegen die Eisriesen aufgegeben...
Ich schütte das Futter teils aufs Eis, teils ins Wasser, damit es auch zu den Furchtsameren weiter draußen getragen wird, die sich immer noch nicht herantrauen. Es sind ihrer nur noch wenige. Die meisten haben alle Scheu verloren und kommen in erschütternder Zutraulichkeit bis an meine Füße. Zwei Zwergtaucher möchten das auch, aber die anderen beißen sie weg. Ich werfe den Kleinen ein paar Extrabrocken zu, aber ehe sie zuschnappen können, hat sich schon ein halbes Dutzend Bläßhühner darüber gestürzt. Die beiden Kleinen drängen sich aneinander, als suche eines beim anderen Rat. Dann tauchen sie, verschwinden unter dem Eis. Sie werden kein Glück haben, denn sicher haben sich längst alle Fische vor dieser Massierung hungriger Schnäbel geflüchtet. Ich werde mir Fleischabfälle besorgen und versuchen, daß ich vielleicht doch an die beiden Kleinen herankomme. Schade, daß sie so verängstigt sind. So jämmerlich sehen sie aus — so verloren.
Hinter mir ein Geräusch, ein Ausruf, dann ein Lachen. Ich drehe mich um und sehe Buddy und Fred, beide mit ihren Schulmappen, die Kragen ihrer kurzen Mäntel hochgeklappt. Buddy ist ausgerutscht und hingefallen, und Fred lacht sich schief darüber, ein fieberhaftes, hysterisches Gelächter. Buddy wirft ihm einen kurzen, verächtlichen Blick zu und stellt sich neben mich:
»Mahlzeit, Colonel!«
»Mahlzeit, Buddy.«
Er sieht auf die Vögel zu unseren Füßen: »Was für hohe Ständer die Bläßhühner haben! Sieht man gar nicht, wenn sie im Wasser sind.«
Fred tritt an meine andere Seite, zeigt auf den See hinaus, wo man an drei, vier Stellen dunkle Klumpen sieht, zu Haufen zusammengedrängt, unbeweglich: »Die haben’s schon überstanden.«
Ich erschrecke: »Sie meinen, die sind schon tot?«
»Natürlich, tot. Unten bei uns, am Internatsstrand, von da kann man schon seit drei Tagen zur Insel ‘rüberlaufen. Die Leute, die das gestern machten, fanden Bläßhühner, Hunderte, festgefroren. Sie haben sie totschlagen müssen. Von manchen, die sich losrissen, blieben die angefrorenen Füße auf dem Eis kleben.«
»Mensch, hör doch auf!« sagt Buddy.
Der andere aber schiebt den bleichen, bebrillten Kopf dicht vor mein Gesicht: »Sind Sie eigentlich fromm?«
Unwillkürlich weiche ich einen Schritt vor ihm zurück: »Was hat das mit den Bläßhühnern zu tun?«
»Mir scheint — sehr viel. Und Sie wissen es auch!« Er zeigt mit einer emphatischen Gebärde auf die düstere Riesenbühne des Sees hinaus: »Was haben die getan? Welche Schuld haben die? Aber Ihre Generation — die kümmert das ja wenig, Colonel! Wie viele Tote hat sie auf dem Gewissen? Vierzig, fünfzig Millionen, vielleicht noch etwas mehr. Und als Belohnung dafür kam das Wirtschaftswunder, und alles ist in Butter. Alles sitzt bis zum Kragen im Fett!« Jetzt knirscht er tatsächlich mit den Zähnen, fängt sich wieder: »Verzeihung. War natürlich nicht persönlich gemeint. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet, sind Sie fromm, glauben Sie an Gott?«
»Ich möchte darauf nicht antworten.«
Er scheint verdutzt: »Aber — wieso nicht?«
»Vielleicht möchte ich nicht gefragt werden — in dieser Form.«
Er wird steif: »Dann bitte ich um Entschuldigung. Sind die Mädchen schon zu Hause?«
»Keine Ahnung.«
»Dann darf ich... dann werde ich mal selbst...« Er macht eine komische kleine Verbeugung, wendet sich ab, dreht sich aber noch einmal um, holt aus seiner Tasche eine Schnitte, hält sie mir hin: »Habe ich ganz vergessen. Wenn Sie das den Vögeln auch geben würden?«
»Ich danke Ihnen im Namen der Vögel.«
Er hält das wohl für Ironie, wird rot, während in seinen Augen die Wut funkelt, wendet sich wieder um. Natürlich rutscht er in seinem krampfhaften Abgang auch noch aus und fällt auf Hände und Knie. Sein Gesicht ist ganz verzerrt, als er die Mappe aufhebt. Er hinkt, während er in Richtung unserer Häuser geht.
Buddy sieht ihm mit gerunzelter Stirn nach: »Kommt sich wer weiß wie vor. Es wird immer schlimmer mit dem in letzter Zeit. Dabei ist er im Grunde dumm, glauben Sie’s?«
»Und leider
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