Zwergenkinder, Band 01 - Bekker, A: Zwergenkinder, Band 01
schimmerndes Licht strahlte auf den großen Platz, der sich vor dem Eingang zum Palast befand. Gewaltige Säulen ragten empor und stützten das Gewölbe.
»Dort müssen wir hin«, sagte Meister Saradul und ging auf das Portal zu.
»Ihr wart schon einmal beim König?«, fragte Tomli.
»Ja, aber das ist schon lange her«, antwortete ihm Saradul.
Sie schritten die Stufen empor zum eigentlichen Eingangstor, das von sechs besonders kräftigen Zwergenwächtern bewacht wurde, von denen jeder zwei Streit äxte trug, in jeder Hand eine.
Saradul zeigte das Amulett vor, das ihm gebracht worden war, und sagte: »Dieser Zwergenjunge ist mein Lehrling. Er begleitet mich.«
»Tritt ein!«, bat einer der Wächter, nachdem er das Amulett an sich genommen und es überprüft hatte. Er machte eine schnelle Handbewegung. »Zopfloser, du führst diesen Gast!«
»Und sein Gefolge!«, beharrte Saradul.
»Und sein Gefolge. Wer immer ein solches Zeichen trägt, ist ein wichtiger Gast des Königs.«
»Kann ich das Amulett zurückbekommen?«
»Nein, man erhält es nur für einen Besuch bei Hofe. Schließlich will hier keiner ungebetene Dauergäste.«
Meister Saradul fühlte sich etwas blamiert und wurde dunkelrot.
Mit »Zopfloser« war der zweite Zwergenwächter gemeint, einer der wenigen Zwerge, die ihre Bärte offen trugen und nicht geflochten. Er steckte seine beiden Streitäxte in den Gürtel. Die Axtstiele waren so lang, dass ihre Enden beinahe über den Boden kratzten.
»Folgt mir!« Er ging mit großen Schritten voran, obwohl es immer etwas eigenartig wirkte, wenn ein Zwerg große Schritte machte, da alle kurze Beine hatten. Aber der Zopflose fand wohl, dass ihm das eine gewisse höfische Würde verlieh.
Er führte sie einen mächtigen Säulengang entlang. An jeder Säule stand ein weiterer Zwergenwächter.
Tomli erschrak, als der Erste von ihnen die Axt hob, während sie an ihm vorbeigingen. Aber auch der Zweite und der Dritte taten dies.
»Das gehört zum Hofzeremoniell«, erklärte Meister Saradul. »Als ich das letzte Mal hier war, hatte ich allerdings kein Amulett bei mir, sondern befand mich in Begleitung eines königlichen Abgesandten. Es handelte sich nämlich um einen Notfall.«
»Was denn für einen Notfall?«
»Ein Dschinn – ein übler Geist aus der Wüste – hatte sich im Palast eingenistet, und ich war die letzte Hoffnung des Königs, ihn zu vertreiben. Schon vierzehn Kollegen aus der Zaubermeisterbruderschaft waren bei dem Versuch gescheitert.«
»Aber Ihr habt es geschafft?«
»Ja, das habe ich.«
»Dann wird man Euch hier bei Hofe sicher zutiefst und bis in alle Ewigkeit dankbar sein.«
»Na ja …«
»Aber ich verstehe nicht, warum man Euch dann all die Jahre über nicht mehr in den Palast eingeladen hat.«
»Nun, da gab es gewisse Umstände, über die ich ein anderes Mal mit dir sprechen werde.«
Ein anderes Mal heißt, dass er gar nicht darüber sprechen will, dachte Tomli, der seinen Meister nach all den Jahren sehr gut kannte.
Da mischte sich der Zopflose in ihr Gespräch ein: »Könnte es sein, dass diese Umstände mit der extrem übel riechenden Tinktur zu tun haben, die Ihr gegen den Dschinn eingesetzt habt, Meister Saradul?«
»Ist das jetzt so wichtig?«, fragte der Zauberer mürrisch.
»Man konnte fast die Hälfte des Palastes über Jahrzehnte hinweg nicht bewohnen, weil sich der Gestank nicht mal mit stärkster Magie vertreiben ließ«, sagte der Zopflose. »Das hat den König wohl ein wenig verstimmt.«
»Aber der Dschinn war fort!«, verteidigte Saradul sein Vorgehen.
»Nur war Sinn und Zweck des ganzen Unternehmens, dass die Bewohner des Palastes wieder ungestört darin leben können«, sagte der Zopflose. »Das war aber nicht mehr möglich, denn der Gestank hat nicht nur den Dschinn hinausgetrieben. Hätten Euch Eure Zaubermeisterbrüder deswegen nicht um ein Haar aus der Bruderschaft geworfen?«
Saradul zog es vor, die Frage einfach zu überhören.
Der Zopflose zuckte daraufhin mit den Schultern und meinte: »Habe ich so gehört.« Er wandte sich an den ziemlich erstaunten Tomli. »Das scheint deinem Meister ja öfter zu drohen, doch bisher hatte er immer Glück und durfte in der Bruderschaft bleiben. Aber vielleicht hat ja auch das mit Magie zu tun.«
In diesem Moment öffnete sich das hohe Tor zum Thronsaal des Königs, obwohl Tomli und Saradul noch nicht einmal die Hälfte der Säulenhalle durchschritten hatten.
Das Tor wurde nicht auf gewöhnliche Weise geöffnet,
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