Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Mammutstoßzahn in genau richtig bemessenem Winkel einen kräftigen Schlag, splitterte eine ziemlich dünne, gewölbte Platte davon ab. Mit meißelähnlichen Grabsticheln wurden Rillen in diese abgespaltene Elfenbeinplatte eingegraben, indem man dieselbe Linie etliche Male entlangfuhr, bis lange Stücke davon abbrachen. Diese wurden mit Schabern und Messern, die dünne, sich ringelnde Streifen davon ablösten, zu rohen Zylindern zugerichtet und dann mit Sandstein, der – um besser arbeiten zu können – naß gehalten wurde, glattgeschliffen. Scharfe Feuersteinklingen mit gezahnter Schneide und langem Griff wurden benutzt, um die Elfenbeinzylinder zu kleinen Stücken auseinanderzusägen; die scharfen Ränder wurden hinterher geglättet.
Der letzte Schritt bestand darin, ein Loch hindurchzubohren, damit sie sich auf einer Schnur auffädeln oder an ein Kleidungsstück annähen ließen. Dies geschah mit einem besonderen Werkzeug. Ein sorgfältig von einem geschickten Werkzeugmacher zu einer langen schmalen Spitze zurechtgeschlagener und -geschliffener Feuerstein wurde in das Ende eines vollkommen geraden und glatten Stabes eingepaßt. Die Spitze dieses Handbohrers wurde auf eine kleine, dicke Elfenbeinscheibe aufgesetzt und dann – ähnlich wie beim Prozeß des Feuermachens – bei gleichzeitig nach unten ausgeübtem Druck zwischen den Handflächen hin- und hergerollt, bis das Loch durchgebohrt war.
Ayla sah zu, wie Tronie den Stab zwischen den Handflächen zwirbelte und sich darauf konzentrierte, das Loch genau richtig zu machen. Ihr wurde klar, daß die Mamutoi sehr viel Arbeit für etwas aufwanden, das keinen offenkundigen Nutzwert besaß. Perlen halfen weder bei der Nahrungsbeschaffung noch bei der Essenszubereitung und vergrößerten auch nicht den Gebrauchswert der Kleidung, auf die sie aufgenäht wurden. Gleichwohl begriff Ayla, was diese Perlen so wertvoll machte. Ohne den Rückhalt von Wärme und Behaglichkeit sowie ausreichender Nahrung hätte das Löwen-Lager es sich nie leisten können, soviel Zeit und Mühe für etwas aufzubringen, das keinen unmittelbaren Nutzen besaß. Nur eine aufeinander eingespielte, gut organisierte Gruppe konnte im voraus planen, alles Lebensnotwendige zu beschaffen und einzulagern, so daß Muße blieb, um Perlen herzustellen. Je mehr Perlen sie trugen, desto mehr bewies dies, daß das Löwen-Lager ein blühender und begehrenswerter Ort war, dort zu leben, und desto mehr Achtung und Ansehen wurde ihm von den anderen Lagern entgegengebracht.
Sie nahm das Stück Leder auf ihrem Schoß sowie die Knochenahle wieder zur Hand, und das letzte Loch, das sie hineinstach, machte sie ein wenig größer als die anderen; dann versuchte sie, mit der Ahle die Sehne hindurchzudrücken. Sie schaffte es und zog von hinten daran; gleichwohl sah das ganze nicht so fein säuberlich aus wie Deegies feste Stiche. Entmutigt blickte sie auf und sah Rydag eine Schnur durch das natürliche Loch eines Rückenwirbels hindurchziehen. Er nahm noch einen Wirbel zur Hand und steckte die ziemlich steife Schnur durch den Rückenmarkskanal.
Ayla holte tief Atem, dann nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Eigentlich ist es ja gar nicht so schwierig, die Spitze durch das Leder hindurchzudrücken, dachte sie. Um ein Haar hätte sie jetzt die ganze Ahle hindurchgestoßen. Wenn sie nur die Sehne daran befestigen könnte, dachte sie, dann wäre es ein Kinderspiel …
Sie hielt inne und betrachtete den kleinen Knochen genauer. Dann sah sie wieder zu, wie Rydag die Schnurenden verknotete und die Wirbelrassel vor Hartals Augen klappern ließ. Sie sah, wie Tronie den Handbohrer zwischen ihren Handflächen hinund hergehen ließ, wandte dann den Kopf und verfolgte, wie Fralie einen Elfenbeinzylinder in der Rille eines kleinen Sandsteinblocks hin- und herschob. Jetzt schloß sie die Augen, beschwor das Bild, wie Jondalar letzten Sommer in ihrem Tal Speerspitzen aus Knochen gefertigt hatte …
Und wieder wanderte ihr Blick zurück zu ihrer beinernen Ahle. »Deegie!« rief sie.
»Was?« fragte die junge Frau erschrocken.
»Ich glaube, ich weiß, wie es geht.«
»Was geht?«
»Daß die Sehne durch das Loch hindurchgeht. Warum mit einer scharfen Spitze nicht ein Loch durch das Ende der Ahle hindurchbohren und die Sehne hindurchstecken? So wie Rydag die Schnur durch diese Rückenwirbel hindurchsteckt. Dann kannst du die Ahle ganz durch das Leder hindurchstoßen, und die Sehne wird ihm folgen. Was meinst du? Ob das geht?« fragte
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