Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
tätowiert war.
Manche hatten, wie der alte Mamut, oben am rechten Wangenknochen nur ein dunkelblaues Grätenmuster: drei oder vier unterbrochene Linien, wie die Unterteile von nach unten weisenden Dreiecken übereinander oder ineinander geschachtelt. Diese erinnerten sie an die Unterkieferknochen von Mammuts, die bei dem Bau von Vincavecs Hütte verwendet worden waren. Die Tätowierungen von anderen, insbesondere der Männer, so fiel Ayla auf, waren sehr viel kunstvoller und reichhaltiger ausgeführt. Ihre Tätowierungen wiesen nicht nur Grätenmuster auf, sondern außerdem Zickzacklinien, Dreiecke, Rhomben und rechtwinklig angeordnete Spiralen in roter und blauer Farbe.
Jetzt war Ayla froh, daß sie zuvor das Mammut-Lager besucht hatten, ehe sie zum Treffen hierhergekommen waren, sonst hätten ihre geschmückten Gesichter sie erschreckt, doch so war sie vorher bereits Vincavec begegnet. Wenn auch die Tätowierungen auf den Gesichtern dieser Leute faszinierend und vielfältig waren – keine war so verzwickt wie die seine.
Der zweite Unterschied, der ihr auffiel, war folgender: Wiewohl es in diesem Lager mehr Frauen zu geben schien als Männer, gab es keine Kinder. Die waren offensichtlich der Obhut anderer in den Wohnlagern anvertraut worden. Kinder hatten hier anscheinend nichts zu suchen, das begriff Ayla rasch. Dies hier war ein Ort, an dem Erwachsene sich zu ernsthaften Besprechungen und Ritualen zusammenfanden – und zum Spielen. Etliche der Versammelten spielten im Freien Spiele mit besonders gekennzeichneten Knochen, Stöckchen und Elfenbeinstückchen.
Mamut trat an den offenstehenden Zelteingang und kratzte am Leder. Ayla spähte über seine Schulter hinweg in das dämmerige Innere und bemühte sich, für diejenigen, die sich draußen aufhielten, nicht allzu auffällig zu erscheinen, doch wenn diese sich auch bemühten, es sich möglichst nicht anmerken zu lassen, so war ihnen doch sehr daran gelegen, sich Ayla genauer anzusehen. Sie waren neugierig auf diese junge Frau, die der alte Mamut nicht nur zur Ausbildung angenommen, sondern als Tochter adoptiert hatte. Sie sei eine Fremde, hieß es, nicht einmal eine Mamutoi. Und keiner wußte, woher sie kam.
Viele hatten es sich angelegen sein lassen, am RohrkolbenLager vorüberzuschlendern und einen Blick auf die Pferde und den Wolf zu werfen; es hatte sie erstaunt und großen Eindruck auf sie gemacht, die Tiere dort zu sehen, nur anmerken lassen wollten sie es sich nicht. Wie konnte ein Mensch einen Hengst bändigen? Oder eine Stute dazu bringen, trotz der vielen Menschen still stehenzubleiben? Und der Wolf! Wieso war der Wolf im Löwen-Lager so zutraulich? Allen anderen gegenüber benahm er sich wie ein richtiger Wolf. Niemand konnte sich ihm nähern oder den Bereich ihres Lagers auch nur ungebeten betreten; Chaleg, so hieß es, hatte er regelrecht angegriffen.
Der alte Mann winkte Ayla hinein, und beide nahmen sie an einer großen Feuerstelle Platz, in der freilich nur ein kleines Feuer flackerte, und zwar an die Seite gerückt, dort wo die Frau ihnen gegenübersaß. Eine dicke Frau war das. Nie zuvor hatte Ayla auch nur eine annähernd so fette Frau gesehen, und sie fragte sich, wie sie es geschafft hatte, überhaupt zu Fuß hierherzukommen.
»Ich habe meine Tochter für dich mitgebracht, auf daß du sie kennenlernst, Lomie«, sagte der alte Mamut.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann du kommen würdest«, erwiderte sie.
Doch dann, ehe sie irgend etwas anderes sagte, holte sie mit zwei Stecken einen rotglühenden Stein aus dem Feuer, machte ein Paket mit Blättern auf, streute einige davon auf den Stein und lehnte sich darüber, um den aufwölkenden Rauch einzuatmen. Ayla erkannte den Geruch von Salbei und – weniger ausgeprägt – den von Königskerze und Lobelie. Sie faßte die Frau genauer ins Auge, bemerkte, daß sie Schwierigkeiten beim Atmen hatte, was sich freilich bald legte, und begriff, daß sie an einem chronischen Husten litt.
»Bereitest du dir aus der Wurzel der Königskerze auch einen Hustensaft?« fragte Ayla sie. »Das hilft manchmal.« Zuerst hatte sie gezaudert, überhaupt etwas zu sagen, und war sich nicht sicher, warum sie es tat, ohne in aller Form vorgestellt worden zu sein, aber sie hatte den Wunsch zu helfen, und irgendwie fand sie, sie hätte ein Recht dazu.
Erschrocken fuhr Lomies Kopf hoch, und sie sah die junge blonde Frau mit wachem Interesse an. Der Anflug eines Lächelns ging über Mamuts Gesicht.
»Eine Heilkundige ist sie
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