0035 - Die Vampirfalle
geistern! Eine grauenhafte Vorstellung. Ich brauchte all meine Kräfte, um die Angst nicht zu zeigen, die ich empfand.
Ich nahm einen letzten Anlauf. »Gut, Kalurac, du willst die vier jungen Leute nicht freilassen. Irgendwie kann ich dich sogar verstehen. Aber erfülle mir noch einen Wunsch.«
»Rede.«
»Überlasse sie erst deinen Dienern, nachdem du mich besiegt hast. Versprichst du das?«
Schweigen.
Kalurac dachte nach. Ein verschlagener Ausdruck überschattete sein Gesicht. Er ging etwas zur Seite. Das Feuer einer Fackel wischte über seine linke Gesichtshälfte und ließ sie aussehen wie mit Blut bemalt.
»Ich traue dir nicht, Sinclair!«
»Jeder zum Tode verurteilte Mensch hat einen letzten Wunsch. Wirst du ihn mir erfüllen?«
Kalurac schaute seine Diener an. Kein Protestwort wurde ihm entgegengeschleudert. Das war für mich bereits der halbe Sieg.
»Du scheinst sehr sicher zu sein, mich besiegen zu können!« höhnte er.
»Jeder hat seine Chancen.«
Wieder blickte er mich lauernd an. »Gut, Geisterjäger, ich werde dir diesen Wunsch erfüllen. Wir lassen sie in Ruhe, bis unser Duell vorbei ist.«
»Ich danke dir.«
Jetzt lachte er schallend. »Warum willst du mir danken? Es ist unnötig. Ich werde dich töten.«
»Vielleicht…«
Sein Gelächter erstarb. Mit einer halben Drehung warf er seinen langen Umhang herum.
»Und jetzt komm mit, John Sinclair!« befahl er. »Ich will dir etwas zeigen.«
Er schritt vor, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Kalurac ging auf eine Tür zu. Sie war aus stabilem Holz gefertigt, und als der Vampir die Klinke drückte, sagte er: »Geh dort die Treppe hinunter, Geisterjäger, du wirst schon erwartet.«
Er selbst machte eine einladende Handbewegung. Im Schein der Fackeln an den Wänden sah ich die Steinstufen.
Sie führten in eine unbekannte Tiefe. Nachdem die ersten Stufen hinter mir lagen, hatte ich das Gefühl, in ein Grab zu steigen.
Kalurac folgte mir nicht. Als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich ihn am Treppenende stehen und mir nachschauen.
Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Kalurac stand dort in klassischer Vampirpose.
War er tatsächlich Draculas Neffe?
Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Langsam ging ich weiter. Die Luft wurde schlechter. Sie roch nach Moder und Grab.
Was erwartete mich am Ende der Treppe?
Dann hörte ich Schritte. Sie wurden rasch lauter und näherten sich der Treppe.
Auf der zweituntersten Stufe blieb ich stehen.
Und dann wurden meine Augen groß. Mein Herz begann rasend zu hämmern.
Ich hatte die Frau erkannt, die sich der Treppe näherte.
Es war Sheila Conolly!
Sie lief auf die Treppe zu, stolpernd, taumelnd, am Ende ihrer Kraft. Ihre Augen weiteten sich. Ungläubiges Staunen zeichnete sich in ihrem Gesicht ab, während Kalurac über mir stand und hämisch lachte. Dafür hätte ich ihn am liebsten erwürgt.
Das Lachen verklang.
Ich schritt die letzten beiden Stufen hinunter. Irgend etwas würgte in meiner Kehle, in den Augen spürte ich plötzlich ein Brennen, als bestünde das Tränenwasser aus Salzsäure.
»John!« Sheila hauchte das Wort. Dann plötzlich schrie sie auf.
»John! John – daß du da bist…!«
Sie fiel mir in die Arme. Zusammen mit ihrem Sohn preßte ich sie an mich.
Ihr Körper erbebte unter ihrem haltlosen Schluchzen.
Ich konnte nicht sprechen, brachte keinen Ton und kein Wort des Trostes aus meiner wie zugeschnürten Kehle hervor.
Meine Hand fuhr nur über ihr Haar. Wieder und immer wieder.
»Ich – ich hatte mich schon aufgegeben!« flüsterte Sheila.
»Himmel, John, das ist mir unbegreiflich.« Sie weinte wieder.
Endlich fand ich ein paar magere Worte. Die einzigen, die nur in dieser Situation einfielen. »Es – es wird schon alles gutgehen, Sheila, glaube mir.«
Sie hob den Kopf, schaute mir aus tränennassen Augen ins Gesicht.
»Nein, John, nichts wird gutgehen. Ich weiß, daß du dich für mich opfern sollst. Für mich und den kleinen Johnny. Diese Bestie hat mir alles hohnlachend erklärt, und ich war so hilflos, ich konnte nichts für dich tun, sondern nur warten.«
»Jetzt bin ich da.«
»Aber du kannst nicht für mich in den Tod gehen, John!«
Eindringlich sprach sie die Worte.
Meine Antwort war klar. »Doch, ich kann, Sheila, und du wirst von hier weggehen. Bill braucht dich.«
»Aber du wirst sterben, John!«
Ich lächelte optimistisch. »Noch lebe ich.« Johnny schlief. Ich sah das kleine Gesicht mit den dicken
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