0040 - Die Ameisen greifen an
fand auch welche. Spuren, die nicht hierher paßten. Dicht hintereinander befanden sich tiefe Löcher im Schnee, als hätte jemand einen Besenstiel in die weiße Masse gesteckt. Zwei Spuren liefen parallel zueinander, und sie waren sogar ziemlich gleichförmig. Roger fuhr ein paar Meter neben der Spur her und sah sie auf einen Kamm zulaufen. Da die Zeit drängte, konnte er die Spur nicht mehr weiter verfolgen. Er mußte zur Hütte. Peter wartete bestimmt schon.
Roger Calf schwang herum. Den Weg zur Hütte kannte er im Schlaf. Wuchtige Stockschläge trieben ihn voran. Geduckt stand er da, federte dabei in den Knien nach und bot mit seinem Körper so wenig Luftwiderstand wie nur eben möglich.
Er hatte eine ausgezeichnete Fahrhaltung. Wenn es einen kleinen Hang oder Hügel hinabging, drückte er die Ellenbogen fest gegen die Hüften und ließ sich von der Schußfahrt mittreiben. Meist hatte er so viel Schwung, daß er auf der anderen Seite des Hügels noch hoch sauste. Hin und wieder stieß er einen Begeisterungsschrei aus. Diese rasante Skifahrt machte ungeheuren Spaß.
Hier oben – also abseits der normalen Skipisten – konnten nur die wahren Könner laufen. Und diejenigen, die die Gegend kannten, die wußten, wo sich die Gletscherspalten und Risse befanden, die für Fremde oft zu Todesfallen wurden.
Roger Calf kannte sich aus. Er jagte sogar über Gletscherspalten hinweg. Rechts von ihm lag ein Eisfeld. Es schillerte in der Dunkelheit bläulich.
Der junge Mann wunderte sich ein wenig, daß er noch nicht das Licht in der Hütte sah. Weit war er nicht mehr von seinem Ziel entfernt. Sobald die Dunkelheit anbrach, wurde in der Hütte das Licht angezündet. Und dieser Schein war ein Wegweiser, zu vergleichen mit einem Leuchtturm an der Küste.
Sollte Peter Egli noch nicht eingetroffen sein?
Roger wunderte sich, denn so etwas war nicht Peters Art. Auf ihn konnte man sich hundertprozentig verlassen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Rogers Magengegend aus, als er nach links schwenkte und dann direkten Kurs auf die Hütte nahm.
Wie eine unheimliche, drohende Wand stieg der Felsen hinter der Hütte hoch. Der Wind hatte Schneewolken gegen das Gestein geweht. Sie klebten daran wie durch Leim gehalten.
Auf den letzten Metern mußte Roger die Skistöcke zu Hilfe nehmen. Dann stand er vor der Tür. Rechts und links davon befanden sich zwei Fenster. Roger schaute durch das rechte.
Eisblumen nahmen ihm die Sicht. Ein Zeichen, daß es auch in der Hütte ziemlich kalt war.
»So was«, murmelte der junge Mann und drückte die Türklinke nieder. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, seine Bretter abzuschnallen, zog die Tür auf und schaute in die Hütte hinein.
Urplötzlich packte ihn das Entsetzen. Er sah die Unordnung, das Chaos – und Peter Egli.
Er lag auf dem Boden.
Tot!
Roger bekam einen Schock.
Er hatte das Gefühl, Mittelpunkt eines Alptraums zu sein. Er schrie, weinte und redete in einem. Sah aber nicht, daß sich die Gefahr von einer ganz anderen Seite näherte.
Hinter seinem Rücken tauchten plötzlich zwei Riesenameisen auf…
***
Hätte Roger Calf sich die Mühe gemacht, den Spuren an der Liftstation noch ein paar Meter weiter zu folgen, so hätte er eine der Ameisen gesehen.
Das Rieseninsekt stand neben einem Felsblock, der sich wie ein grauer spitzer Hut aus dem Schnee herausschob. Das Tier hatte die Witterung des Menschen aufgenommen. Unruhig bewegten sich die beiden Zangen. Es war bereit anzugreifen.
Doch die Witterung wurde schwächer. Der Mensch entfernte sich. Schnell sogar.
Zu schnell für die Ameise.
Sie wartete noch ab und machte dann kehrt. Es sah etwas unförmig aus, wie sie sich in dem hohen Schnee bewegte, aber diese Unförmigkeit machte sie trotzdem nicht ungefährlicher. Ganz im Gegenteil. Das Rieseninsekt suchte Wärme. Es kam aus einer anderen Dimension, wo es einen anderen Himmel gab, eine andere Sonne – überhaupt völlig andere Lebensgewohnheiten.
Jedes Lebewesen, das sich dem Rieseninsekt in den Weg stellte, wurde von ihm angegriffen, denn es war auf Töten programmiert.
Die großen dunkelroten Augen glühten, als sie talabwärts schauten. Sie hatten etwas entdeckt.
Lichter!
Wo Licht war, da gab es auch Wärme. Die Ameise ahnte dies mit ihrem sicheren Instinkt.
Und wo Wärme war, da lebten Menschen.
Beute…
Die Ameise stapfte weiter, steuerte direkt auf die Lichter zu, die wie Sterne durch die Dämmerung leuchteten.
Doch es waren keine Sterne. Die
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