010 - Skandal in Waverly Hall
aufgetaucht war.
Selbstverständlich hatte Dominick sie nicht einmal bemerkt. Wie Patrick war er außerhalb zur Schule gegangen und später, nach dem Studium, in sein extravagantes Stadthaus in London gezogen. Er, Patrick, hatte ebenfalls in London gelebt, allerdings in einer winzigen Junggesellenwohnung weit weg vom exklusiven Stadtteil Mayfair.
Eines Tages hatte Rutherford Dominick zu sich gerufen und ihn offen aufgefordert, endlich zu heiraten. Dominick hatte dem Freund bei einer Flasche Brandy alle Einzelheiten des Gesprächs anvertraut. Resignierend hatte er eingewilligt, den Wunsch seines Großvaters zu erfüllen. Früher oder später hätte er ohnehin eine Ehefrau nehmen müssen. Patrick hatte ihn darauf hingewiesen, daß seine Schwester noch zu haben wäre. Felicity hatte schon damals als eine der Schönheiten der feinen Gesellschaft gegolten. Seine ganze Familie hätte aus der Verbindung Vorteile gezogen.
Dominick hatte Felicity tatsächlich gewählt. Es war nicht überraschend gekommen, denn er war gemeinsam mit Patrick aufgewachsen und kannte dessen Schwester ein Leben lang. Da er genügend Geld besaß, konnte er heiraten, wen er wollte, ohne auf eine große Mitgift achten zu müssen.
Die Familie Collins hatte das Ereignis die ganze Nacht lang gefeiert.
Doch anstatt Felicity zu seiner Frau zu machen, hatte Dominick Anne verführt.
Anschließend hatte er die Verlobung mit Felicity gelöst, Anne geheiratet - und sie unmittelbar darauf wieder verlassen.
Patrick hätte nicht sagen können, wann er sich in Anne verliebt hatte. Vielleicht im ersten Jahr nach ihrer Heirat mit Dominick, als sie untröstlich über das Verhalten ihres Mannes gewesen war. Jahrelang hatte er darauf gewartet, daß sie ihn Dominick St. Georges vorzog. Vier lange Jahre.
Er war sicher gewesen, daß er am Ende gewinnen würde. Einmal im Leben mußte er Dominick doch schlagen - und wenn es in der Liebe war.
Bisher hatte Patrick den Freund in keinem einzigen Punkt ausstechen können.
Schmerzlich war er sich bewußt, daß er in Dominicks Schatten aufgewachsen war.
Zwar entstammte er ebenfalls dem Adel, war jedoch nicht so reich und sah nicht so gut aus wie der Freund. Dominick hatte dagegen alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte. Außerdem war er der Erbe des Herzogtums Rutherford.
Jonathan Collins, Patricks Vater, trug ebenfalls einen Adelstitel. Er war der Baron of Hunting. Doch das war ein unbedeutender Titel, und die Familie hatte Mühe, den Anschein von Wohlstand zu wahren. Außerdem hatte Patrick drei ältere Brüder. Er würde weder den Titel noch den Grundbesitz erben. Genauer gesagt: Er war der jüngste Sohn eines verarmten Lords - ein Niemand.
In Eton waren die Unterschiede zwischen Dominick und ihm überdeutlich geworden. Vorher war es um Kleidung und Spielzeug gegangen, später um Pferde und die Dorfmädchen. In der exklusiven Privatschule war Dominick sofort als Anführer seiner Standesgenossen betrachtet worden. Patrick war in der Gruppe nur willkommen gewesen, weil Dominick darauf bestanden hatte, daß man den Freund aufnahm. Wie schmerzlich war das gewesen, nicht um der eigenen Persönlichkeit willen akzeptiert zu werden, sondern nur durch Fürsprache.
Anschließend waren sie auf unterschiedliche Universitäten gegangen. Patrick war todunglücklich gewesen und im zweiten Jahr nach Cambridge übergewechselt, wo Dominick ebenfalls eingeschrieben war. Dort hatte er mit ansehen müssen, wie der goldblonde gutaussehende Erbe eines Herzogtums mühelos seine Studien absolvierte, obwohl er nicht besonders fleißig war. Natürlich hatte er unverzüglich Zutritt zur feinen Gesellschaft bekommen. Jede Tür hatte ihm offen gestanden.
Ständig hatten Einladungen zu einem heimlichen Stelldichein in seinem Briefkasten gesteckt. Unzählige Frauen - unschuldige und sehr erfahrene, bürgerliche und adelige - waren hinter ihm hergewesen. Dominick hatte die ganze Zeit ausschließlich getan, wozu er Lust hatte Für ihn gab es keine Einschränkungen.
Für Patrick hatte es nur wenige Einladungen gegeben, obwohl Dominick ihn zu allen Festen mitgenommen hatte. Er hatte auch nur wenige Frauen kennengelernt, obwohl Dominick ihm immer jene Damen vorstellt hatte, an denen er persönlich nicht sonderlich interessiert war. Bei allem, was er tat, hatte Patrick sich unwahrscheinlich angestrengt. Trotzdem war er nie der erste gewesen.
Diesmal sollte es anders sein.
Patrick war sicher, daß Anne ihm eines Tages gehören würde.
Er war
Weitere Kostenlose Bücher