0153 - Sie nannten sich Löwen und Tiger
mit. Sehen Sie in ihren Schmuckkasten. Sie hat noch zehn Stück von derselben Sorte.«
»So dass Sie meinten, es schade nichts, wenn Sie die eine einstecken. Aber machen wir weiter. Wie kommt es, dass Sie in den letzten zwei Monaten mehr als 1500 Dollar gespart haben? Wie hoch ist denn eigentlich Ihr Monatslohn?«
»Das geht Sie nichts an, aber ich will es Ihnen sagen. Ich verdiene 40 Dollar die Woche, und Mrs. Hudson schenkte mir öfter noch etwas.«
»Das sind aber noch keine 1500 Dollar.«
»Ich habe sie geerbt.«
»Seien Sie nicht dumm, Annie«, mahnte ich. »Wenn Sie so weitermachen, reden Sie sich um Kopf und Kragen. Sie haben Margret erpresst. Sie können im Übrigen genau sehen, was in ihrem Zimmer vorgeht und wer über die Treppe und den Balkon dorthin kommt. Sie haben heute Nacht den Mörder gesehen. Sie beobachteten, wie er durch den Garten und über die Treppe nach oben ging.«
Sie war bis an die Wand zurückgewichen und atmete stoßweise.
»Na, wird’s bald. Ich warte auf Ihre Antwort.«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht«, jammerte sie. »Ich hörte nur leise Schritte und das Knarren der Holztreppe. Es war ja stockfinster. Auch das Zimmer war dunkel. Nur eine Taschenlampe sah ich, mit der jemand leuchtete, aber ich weiß nicht, wer es war. Ich hörte auch nichts, bis er nach vielleicht zwanzig Minuten wieder wegging.«
»Und dann?«
»Dann gar nichts. Ich glaubte, es sei ihr Freund gewesen.«
»Sie haben den Mann also schon öfter beobachtet?«
»Ich weiß nicht, ob es derselbe war. Er kam nur in der Nacht, wenn alles schlief.«
»Und Sie nutzten diese Kenntnis aus, um das Mädchen zu erpressen?«
»Ich habe niemals etwas verlangt«, beteuerte sie. »Ich sagte ihr nur, ihr Geliebter sei wieder einmal da gewesen und dann gab sie mir Geld, damit ich sie nicht verraten sollte.«
»Sagen Sie mal, Annie, halten Sie uns für so dumm, dass wir Ihnen diese Märchen glauben?«
»Ich weiß nichts. Ich weiß wirklich nichts.«
Mehr war nicht herauszubekommen. Wir nahmen das Geld, das Sparbuch, die Nadel und Annie selbst mit und übergaben alles Lieutenant Crosswing.
Wir empfahlen ihm, auch das Warenlager aus dem Schrank zu holen und das Zimmer nochmals durchsuchen zu lassen. Die offizielle Beschuldigung lautete vorläufig auf Diebstahl und Erpressung. Ich glaubte nicht, dass Annie selbst Margret erstochen hatte oder an dem Mord beteiligt war. Dagegen waren wir alle davon überzeugt, dass sie den Mörder kannte und einen guten Grund hatte, ihn nicht zu verraten.
Marcia und Bob hatten, wie sie sagten, fest geschlafen. Das war nicht weiter verwunderlich. Mrs. Hudson war nicht vernehmungsfähig, worüber ich nicht erstaunt war und auch die Krankenschwester konnten wir aus verständlichen Gründen nicht vernehmen. Lieutenant Crosswing hielt ihre Aussage auch für nebensächlich, eine Ansicht, die Phil und ich nicht teilten; schließlich wussten wir mehr. Der Doktor kam einen Augenblick heraus auf den Gang. Er konnte nur bedenklich den Kopf schütteln und seiner Hoffnung Ausdruck verleihen, Mrs. Hudson werde die Folgen des Schocks überstehen.
»Sie leidet an einer weit fortgeschrittenen Leukämie«, erklärte er. »Ich habe bereits vor drei Monaten Professor Bock vom Rockefeiler Institut zugezogen, der ebenso machtlos ist wie ich. Unter normalen Umständen hätte sie vielleicht noch ein Jahr leben können, aber jetzt sehe ich schwarz. Ich hoffe sie über die nächsten Tage hinwegzubekommen. Dann können wir sie ins Krankenhaus transportieren.«
Plötzlich erinnerte ich mich an das, was ich den Arzt hatte fragen wollen.
»Wussten Sie eigentlich, dass Margret Rauschgift nahm?«
Er nickte.
»Ich habe es neulich bemerkt und ihr Vorhaltungen gemacht, aber sie behauptete, es sei nur sehr selten geschehen, und sie werde in Zukunft die Finger davon lassen.«
»Und das glaubten Sie ihr wirklich?«
»Warum sollte ich nicht?«, meinte er unschuldig.
Dann fiel mir Margrets Vater ein.
»Wo ist denn eigentlich Mister Hudson?«, fragte ich.
»Im Keller, in seinem Laboratorium«, entgegnete Crosswing. »Er hat die ganze Nacht dort unten gehockt und natürlich nicht das Geringste gehört. Als wir ihn vorhin holten, war er gewaltig zornig, dass er seine Experimente unterbrechen musste. Der Tod seiner Tochter scheint ihn nicht sonderlich zu berühren. Er behauptet, er habe das kommen sehen.«
»Der Kerl ist verrückt«, meinte Phil, und ich konnte nicht anders, als ihm zuzustimmen.
Wir
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