02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
sich um sie gebildet hat, hält hörbar die Luft an. Andere vermögen kaum, ein Lachen zu unterdrücken. Hinter Gabriel huscht ein Lächeln über die Lippen Luzifers.
Aus Gabriels Gesicht ist alle Belustigung verschwunden. Er erstarrt, die Muskeln in seinen Schultern haben sich erkennbar verhärtet. »Ich denke, Zeit in Sheol wäre gut«, sagt er gepresst. »Um in Ruhe nachzudenken.«
»In Ruhe nachdenken … das ist immer gut«, murmelt Lucien. »Aber vielleicht könntest du dich hier in eine Ecke stellen? Du musst ja nicht gleich auch in den Abgrund hinab – oder?«
Diesmal ist einen Augenblick lang ehrliches Gelächter zu hören, das jedoch genauso schnell wieder verstummt, wie es erklang.
Gabriel runzelt verdrießlich die Stirn und hebt eine flache Hand. Doch dann lässt er sie wieder sinken, ohne seinen zornigen Blick von Lucien abzuwenden. Seine bernsteinfarbenen Klauen bohren sich in seine Handfläche, und schwarzes, duftendes Blut schießt aus den Wunden.
»Du wirst mehr als Blut und Bannsprüche brauchen, um mich zu halten, Platzhalter«, sagt Lucien.
»Ja«, stimmt Gabriel zu. Er taucht eine Klaue in sein Blut und streicht dann damit über Luciens Stirn. »Ich brauche deinen wahren Namen.« Ein boshaftes Lächeln umspielt seine Lippen.
Kaltes Grausen erfasst Lucien. Er sieht Lilith an, die daraufhin auf ihre hübschen Füße blickt, die in Sandalen stecken.
»Ich binde dich, Sar ha-Olam von den Elohim«, verkündet Gabriel. »Ich binde dich an die Erde Gehennas, binde deine Kräfte, die ungenutzt und ungehört in dir schlummern werden, bis ich dich wieder freilasse.« Während er ein blutiges Mal auf Luciens Stirn zeichnet, dringt durchsichtiges Licht durch seine Handflächen und beginnt, Lucien einzuhüllen. Jetzt ist er mit einer Fessel aus Licht gebunden. »Wie Gehenna vergeht, so sollst auch du vergehen. Bei meinem Namen.«
Lucien starrt Gabriel an, während sich die Magie des Aingeals um ihn wickelt, still und brennend in ihn dringt und seine Energie, seine Glut mit einem zarten Netz aus Eis umgibt. Sein Wybrcathl gefriert unter dem Gletscher aus Hass und kann nicht mehr erklingen.
»Eines Tages werde ich mich von deiner Magie befreien«, flüstert Lucien, »und an diesem Tag wird die Sonne zum letzten Mal für dich aufgehen. Denk daran, Gabriel Platzhalter. Auch ich kenne deinen wahren Namen. Vergiss das nicht. Vergiss das nie.«
Plötzlich spiegeln sich Zweifel auf Gabriels hellem Gesicht wider. Er weicht vor dem, was er in Luciens Augen sieht, zurück. »Werft ihn in den Abgrund!«, ruft er.
Wie viel Zeit war seit damals vergangen? An Ketten hängend und gefangen in einem nie endenden Kreislauf aus Schmerz, Erschöpfung und seinem Bemühen, sein Wissen um Dante vor den neugierigen Gedanken der anderen zu verbergen, hatte Lucien jegliches Gefühl für die Zeit verloren. Er hatte gewusst, was er riskierte, als er Gabriel so reizte, aber es war ihm trotzdem nicht möglich gewesen, seinen Wunsch zu unterdrücken, den Hochmut des Aingeal herauszufordern und ihm ein paar empfindliche Schläge zu verpassen.
Wenn seine Gefangennahme und seine Bestrafung als Jahwes Mörder und der baldige Mörder von ganz Gehenna dazu beitrug, dass Gabriel das Lied des neuen Creawdwrs nicht vernahm und Dante unbemerkt blieb, lohnte sich jede Sekunde, die er hier litt.
Ich schütze unseren Sohn mit allem, was ich habe, Genevieve.
Doch wie lange noch? Früher oder später würde Dante seine Gabe einsetzen. Wie konnte er seinen Sohn beschützen, während er über dem rotglühenden Boden des Abgrunds von Sheol baumelte?
Die Übereinkunft zwischen Gabriel und dem Morgenstern schien fragil zu sein und würde bestimmt über kurz oder lang in die Brüche gehen. Gab es eine Möglichkeit, das zu nutzen und so seine Freiheit wiederzuerlangen? Sonst würde er hier noch wie ein Schmuckanhänger baumeln, wenn es zum Bruch kam.
Lucien sehnte sich nach dem fahlen Himmel.
Fahl, obwohl er einmal kobaltblau und voller Tiefe gewesen war.
Klauen kratzten über seine Brust, während anderen an seinen festgebundenen Flügeln rissen. Hinter Luciens geschlossenen
Augen brannte heißer Schmerz. Er schrie, und sein heiserer, wütender Schrei erfüllte die ganze dunkle Höhle.
Ein Wybrcathl trällerte durch die Luft, und die kreischenden Chalkydris verstummten, während das Rauschen ihrer schlagenden Flügel schriller zu klingen begann. Einer der Elohim kommt herab, dachte Lucien. Ein heißer Wind fuhr ihm durchs Haar und über
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