02 - Von dir kann ich nicht lassen
eingewandt. »Obwohl er keine Trauer trägt. Könnte es sein, dass Jardine
doch nicht tot ist, sondern nur mit einem Schädelbruch in Cornwall herumkrocht?«
»Das
würde zu ihm passen«, hatte der Duke trocken bemerkt.
»Wenn
ihr mich fragt«, hatte Viscount Kimble festgestellt, »sollte die Frau eher eine
Medaille als die Schlinge bekommen, wenn er wirklich tot ist. Die Welt
wäre ohne Jardines Anwesenheit ein besserer Ort.«
»Aber
auch du solltest dich, wie wir alle, besser vorsehen, wenn du erst diese
Zufluchtsstätte verlässt, Tresham«, hatte Sir Conan kichernd hinzugefügt.
»Halte nach einem wütenden Weibsbild Ausschau, die ein Paar Pistolen oder eine
schwere Axt schwingt. Es gibt unterschiedliche Berichte darüber, was von beidem
sie für die heimtückische Tat benutzt hat.«
»Wie
sieht sie denn bitte aus?«, hatte der Duke gefragt. »Damit ich mich verstecken
kann, wenn ich sie kommen sehe.«
»Eine
schwarzäugige, schwarzhaarige Hexe, hässlich wie die Nacht«, hatte Sir Conan
gesagt. »Oder eine blonde Sirene, schön wie ein Engel. Such es dir aus. Ich
habe beide Beschreibungen gehört und noch weitere dazwischenliegende.
Anscheinend hat niemand sie jemals wirklich gesehen, außer Durbury, der dazu
schweigt. Hast du von Ferdinands neuem Gespann gehört? Vermutlich ja. Denkst
du, sie werden nach Norden streben, wenn er ihnen das Zeichen gibt, nach Süden
zu laufen?«
»Nicht
wenn er wirklich mein Bruder ist«, hatte der Duke geantwortet. »Er hat
vermutlich ein lebhaftes Paar gekauft, das man erst ein Jahr lang zähmen muss?«
Die
Unterhaltung war über dieses Thema fortgeführt worden.
Nun
konnte Jane nicht schlafen. Oder auch nur stillliegen. Sie sah ständig Sidneys
aschfahles Gesicht und das Blut an seiner Schläfe vor sich. Sie dachte ständig
daran, dass der Earl nach London gekommen war, um nach ihr zu suchen. Und an
die Kriminalbeamten, die Londons Straßen durchkämmten und die Einwohner
befragten, um ihren Aufenthaltsort zu ermitteln. Sie stellte sich ständig vor,
wie sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nähme und das Dudleyhaus verließe,
um dem Earl im Pulteney Hotel gegenüberzutreten.
Es wäre
eine solche Erleichterung, ihr Versteck zu verlassen, und alles an den Tag zu
bringen.
Ins
Gefängnis kommen. Öffentlich verurteilt werden. Gehängt werden. Konnte die
Tochter eines Earl zum Tod durch Erhängen verurteilt werden? Ein Earl selbst
konnte nicht dazu verurteilt werden. Aber seine Tochter? Sie wusste es nicht.
Warum
trug der Cousin ihres Vaters keine Trauer? War es möglich, dass Sidney
letztendlich wirklich nicht tot war? Aber das wäre töricht zu hoffen.
Schließlich
warf sie die Bettdecke zurück und machte sich nicht weiter vor, schlafen zu
können. Sie zündete eine Kerze an, legte sich ihren Mantel um die Schultern und
verließ den Raum, ohne sich die Mühe zu machen, sich anzuziehen oder in ihre
Schuhe zu schlüpfen. Vielleicht fand sie in der Bibliothek ein Buch, in das sie
sich vertiefen könnte, bis sich ihr Geist beruhigte.
Aber
dann bemerkte sie etwas, während sie die Treppe hinabstieg. Ein Geräusch. Als
sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, war recht offensichtlich, was es war.
Musik.
Die Musik eines Pianoforte.
Die aus
dem Musikzimmer erklang.
Aber
wer mochte dort spielen? Es war viel zu spät für Besucher es musste
schon weit nach Mitternacht sein. Außerdem brannte in der Eingangshalle kein
Licht mehr. Die Diener waren alle zu Bett gegangen. Aber ein schmaler
Lichtstreifen drang unter der Tür des Musikzimmers hervor.
Jane
näherte sich ihr behutsam und legte die Hand einige Augenblicke auf den Knauf,
bevor sie ihn drehte und die Tür öffnete.
Es war
der Duke of Tresham.
Er saß
auf der Bank vor dem Pianoforte, die Krücken auf dem Boden neben sich. Er war
über die Tasten gebeugt, spielte ohne Noten, die Augen geschlossen, einen fast
qualvollen Ausdruck auf dem Gesicht. Er spielte etwas betörend Schönes, etwas,
was Jane noch niemals zuvor gehört hatte.
Sie
stand wie gebannt da und hörte zu. Und hatte, mit engem Herzen, erneut das
Gefühl, als dränge die Musik nicht aus dem Instrument, sondern aus ihm, durch
beide hindurch aus irgendeiner göttlichen Quelle. Sie hatte nicht geglaubt,
dass es noch einen anderen Musiker geben könnte, dessen Talent dem ihrer Mutter
gleichkam.
Aber jetzt
stand sie ihm gegenüber.
Fünf
Minuten oder mehr mussten vergangen sein, bevor die Musik verklang. Er saß da,
die Hände dicht über der Tastatur,
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