0257 - Der Schädel des Hexers
Durch die Zwischenräume hatten sich wie vorwitzige dünne Arme die Zweige der Büsche geschoben, und dahinter sahen wir die hohen grauen Grabsteine.
Sukos Ruf erreichte mich. »Hier, John!«
Ich achtete nicht mehr auf ein Tor, mein Freund hatte es gefunden.
»Wir müssen darüber klettern, es ist mit einer Kette gesichert.«
»Okay.« Ich sah zu, wie mein Freund auf der anderen Seite zu Boden sprang, und machte mich daran, über das Tor zu steigen. Es war nicht so hoch wie das Gitter, besaß auch keine Stäbe, die oben spitz wie Lanzen zuliefen.
Das Tor war kein Problem. Ich kam gut hinüber und folgte Suko, der bereits durch die Grabreihen ging und seinen Blick suchend nach rechts und links drehte.
Schon beim zweiten Hinsehen bekam ich bestätigt, was ich angenommen hatte. Vor uns lag ein Familien-Friedhof. Auf den wuchtigen Steinen entdeckte ich immer nur einen Nachnamen.
McLellan!
Wir waren also genau richtig gekommen, aber den schreienden Mann sahen wir noch nicht.
»Wo sind Sie?« rief Suko, der stehengeblieben war.
Ein schwaches »Hier« wehte uns entgegen.
Ich schaute Suko an. »Das kam von links.«
Mein Freund nickte. Da es in diese Richtung keinen Weg gab, liefen wir quer über die Gräber.
Diesmal hatten wir Glück. Wir fanden den Mann. Beide sahen wir ihn zur selben Zeit, und wir blieben stehen, wie vor die berühmte Wand gelaufen.
Der Mann befand sich zwischen zwei Gräbern. Er war auf eine grausame Art und Weise gefangen worden.
Man hatte ihn eingegraben!
***
Nur noch sein Kopf schaute hervor. Das Gesicht leuchtete weiß. Es war verzerrt. Wir lasen in den Zügen all die Qualen, die der Mensch durchgemacht hatte.
»Mein Gott«, flüsterte Suko, »wer hat das getan?«
Eine Antwort konnte ich ihm leider nicht geben. Dafür bekamen wir sie von dem Gefangenen. »McLellan«, keuchte er and spie gleichzeitig Erdkrumen aus. »Diese verdammten Hunde.«
»Haben die Sie hier eingegraben?«
»Ja.«
»Und wer sind Sie?«
»Ich heiße Broderick McLion. Wir sind mit der anderen Sippe verfeindet.«
Diese wenigen Worte hatten uns bereits einen Teil des Problems offengelegt. Für uns war jetzt allein wichtig, daß wir den Ärmsten befreiten.
»Gibt es hier irgendwo Schaufeln?« fragte Suko. Er hatte denselben Gedanken gehabt wie ich.
»Ja, weiter hinten.«
Der Inspektor flitzte schon los. Er wühlte sich durch die sperrigen Büsche und brach die Zweige kurzerhand ab.
Ich ging in die Hocke, so daß mir der eingegrabene Mann direkt ins Gesicht schauen konnte. Er mußte Höllenqualen ausgestanden haben.
Seine Züge waren verquollen. Dreck bedeckte seine Wangen. Die Augen schimmerten rot, die Lippen gerissen, zudem sah er mir so aus, als wäre er geschlagen worden.
Danach fragte ich ihn auch. »Klar!« keuchte er, »klar. Diese verdammten Schweine haben mich geschlagen.«
»Aber wie kommt es?«
»Feindschaft der Sippen. Ich kann Ihnen sagen, wir werden zurückschlagen. Das sollen sie büßen. Ich hätte verrecken können. Ich…« Er verstummte, hustete und fragte danach schweratmend: »Wer sind Sie überhaupt? Ich erzähle Ihnen hier alles…«
Ich schaute auf das dunkelblonde, schmutzverklebte Haar des Mannes und schüttelte den Kopf. »Keine Bange, wir gehören nicht zu den McLellans. Wir kommen aus London.«
»Wieso?«
»Weshalb nicht?«
Schaufeln und einen Spaten besorgt. Den Spaten brauchten wir auch, denn der Boden war gefroren. Wir mußten die obere Schicht erst lockern.
»London. Wie kommen Sie ausgerechnet hierher? Oder haben Sie meinen Onkel verfolgt?«
»Den kennen wir nicht.«
»Er war auch in London.«
»So?« sagte ich und nahm eine Schaufel in die Hand, während Suko die Erde um das Grab herum aufstach. »Was hat er denn in London gemacht?«
»Damit fing doch alles an.« Er lachte und atmete schnell und hastig.
»Wir wollten den McLellans endlich mal den Wind aus den Segeln nehmen und stahlen den Schädel.«
»Den schreienden?« fragte Suko.
Broderick McLions Mund klappte zu. »Sie…Sie kennen den Totenkopf?«
»Ja, und auch den Maler Anderson.«
»O verdammt!« fluchte McLion.
»Dann haben Sie mich reingelegt und gehören doch zu den McLellans.«
»Dazu gehören wir nicht.«
McLion schwieg. Er suchte wohl erst einmal nach einer Antwort, während wir verbissen weiterarbeiteten. Die Erde, die Suko mit dem Spaten gelockert hatte, beförderte ich mit der Schaufel zur Seite, und wir hatten bereits die Schultern des eingegrabenen Mannes freigelegt.
»Wieso kommen
Weitere Kostenlose Bücher