0265 - In Brooklyn blüht der Galgenbaum
ich dir’s erfüllen kann.«
Jack Gallus griff in die Hosentasche und warf seinem neuen Chef ein Päckchen Kaugummi zu. Verwundert fing es O’Kelly auf, um sich sofort zu bedienen.
»Ich habe es dir mitgebracht, als ich einkaufen war«, sagte Gallus langsam. »Du musst immer was zum Kauen haben, stimmt’s?«
»Ja. Aber du bist der erste in meiner Gang, der an so was denkt.« Gallus grinste: »Man soll sich immer mit dem Boss gut stellen«, meinte er. »Und mit so ein paar Kleinigkeiten ist das leicht zu machen. - Wie viel ist dir denn dein Leben wert, Boss?«
O’Kelly lachte dröhnend.
»Du bist ein Witzbold! So viel, dass ich es gar nicht bezahlen kann, Gallus. Wenn du mit den Beinen auf der Erde bleibst, soll es nicht an mir liegen. Ein paar Scheine lasse ich dafür springen, dass du mir das Leben gerettet hast. Wie viel sollen es sein?«
Jack Gallus setzte sich in einen Sessel und steckte sich eine Zigarette an. Er sah versonnen dem Rauch nach, den er ausgeblasen hatte.
»Es wäre mir liebe, wenn du mir kein Geld gäbst«, bekannte er.
»Was denn?«
»Vielleicht würdest du dir mal dafür eine Geschichte anhören.«
»Eine Geschichte anhören?«
»Ja.«
O’Kelly schüttelte wieder den Kopf. »Ich biete dir Geld an, und du willst dafür, dass ich mir von dir eine Geschichte anhören soll. Die hätte ich mir ja vielleicht auch so angehört. Aber für mich ist es ein Geschäft. Wenn es dir so viel wert ist, dass du mir eine Geschichte erzählen kannst - okay, schieß los! Ich höre!«
Jack Gallus beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und sah nachdenklich auf die Glut vom an seiner Zigarette.
»Ich bin nicht nach New York gekommen, weil ich in Philadelphia gesucht werde«, gab er zu. »Meine Reise nach hier hat einen anderen Grund.«
»Jetzt wird es interessant«, murmelte O’Kelly und setzte sich wieder aufs Sofa. »Einen Vorzug hast du auf jeden Fall, Gallus: Deine Gesellschaft wird einem nie langweilig. Also schön, du bist nach New York gekommen. Warum?«
»Ich suche ein Mädchen,«
»Ein bestimmtes Mädchen?«
»Ja. Ich habe sie vor knapp zwei Jahren kennen gelernt. Damals muss sie sechzehn oder siebzehn gewesen sein. Seither kenne ich kein anderes Mädchen mehr. Diese eine geht mir nicht mehr aus dem Kopf.«
»Ich werd verrückt«, behauptete O’Kelly. »Schon wieder eine Überraschung! Ich hatte angenommen, du gehörst zu der kaltschnäuzigen Sorte, die sich aus Weibern überhaupt nichts macht. Und jetzt erfahre ich, dass du sogar verliebt bist. Mach mich nicht verrückt, Gallus. Du und scharf hinter einer Puppe her! Ich kann’s mir einfach nicht vorstellen.«
»Es ist aber so«, erwiderte Gallus mit gesenktem Kopfe. »Ich hätte mir geschworen, innerhalb von drei Jahren so viel Geld zusammenzukriegen, dass ich sie heiraten könnte und wir ein sorgloses Leben vor uns hätten.«
»Das ist verdammt viel für drei Jahre.«
»Oh, ich wollte keine Million zusammenscharren. Nur so viel, dass man davon leben kann, wenn man bescheiden ist.«
»Erzähl weiter! Warst du denn sicher, dass dir das Mädchen nicht inzwischen abspringen würde?«
»Absolut sicher.«
»Aber wieso musst du sie dann auf einmal suchen?«
»Das Mädchen wurde gekidnappt. Entführt. Von Gangstern. Ich las es in Philadelphia in der Zeitung. Und deshalb bin ich nach New York gekommen. Ich muss das Mädchen finden. Ich muss. Um jeden Preis! Und wenn du mir wirklich dafür danken willst, dass ich Strandford daran hinderte, dir eine Kugel in den Kopf oder in den Bauch zu schießen, dann hilfst du mir, dieses Mädchen zu finden.«
»Eine Hand wäscht die andere«, sagte O’Kelly. »Aber bevor ich mich nach dem Verbleib des Mädchens umhören kann, muss ich wissen, wie sie heißt«
Jack Gallus stand auf. Er sah zum Fenster hinaus.
»Sie heißt Susy Fleckson«, sagte er.
***
Hinter der Haustür gab es einen langen, düsteren Flur, der sein bisschen Licht von einem am anderen Ende gelegenen, winzigen Fensterchen erhielt.
Im Flur hing ein muffiger Geruch von moderndem Holz.
Ich blieb knapp hinter der Haustür stehen, um meine Augen an das Zwielicht zu gewöhnen. Wenn man einem Gegner gegenübertreten will, von dem man weiß, dass er gefährlich werden könnte, empfiehlt es sich immer, gerade solchen Kleinigkeiten die gebührende Beachtung zu schenken.
Nach ungefähr einer Minute tappte ich leise in den Flur hinein. Ich hatte die Hände nicht mehr in den Manteltaschen, um keine unnötige Sekunde zu
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