0466 - Straße der toten Männer
dachte an alles, was er mir von der 30. Straße, der Sixth Avenue und dem Friedhof erzählt hatte. Phil lag wohl mit seiner Vermutung richtig: Der Mann war New Yorker und trotzdem bei uns unbekannt.
»Was tun?« fragte ich.
Das Telefon enthob Phil einer Antwort, die wohl kaum sehr optimistisch ausgefallen wäre.
»Mordkommission Hartem Nord, Lieutenant Thomsen«, meldete sich der Anrufer, als ich meinen Namen genannt hatte.
»Mister Cotton, Sie kennen einen gewissen Jonathan Flynn?«
Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
Er wartet deshalb auch gar nicht erst auf eine Antwort, sondern sprach nach einer kurzen Pause weiter.
»Flynn ist erschossen worden. In seiner Druckerei. Ich kann mir vorstellen, daß Sie…«
Ich ließ ihn nicht ausreden, »Wir kommen!« rief ich und knallte den Hörer.auf den Apparat zurück. Phil schaute mich an, als sähe er mich zum erstenmal. Irgendwie mußte ich einen durchgedrehten Eindruck gemacht haben.- »Was ist denn los? Will Ernie Brooks sich stellen?«
Hastig'erzählte ich ihm alles.
Mit meinem Jaguar waren wir zu dieser nachtschlafenden Zeit im Rekordtempo am Meyer Square. Diesmal brauchte ich nicht zu suchen. Scheinwerfer erhellten die Toreinfahrt und den Hof taghell. Zwei Uniformierte bewachten die Einfahrt. Sie legten die Hände an die Mütze, als ich meinen Stern zeigte, und wiesen dann in Richtung der Druckereiräume.
Lieutenant Thomsen und seine Leute erwarteten mich in dem Büro, in dem ich erst wenige Stunden vorher die merkwürdige Begegnung mit Jonathan Flynn gehabt hatte. Alles war wie vorher, nur viel heller, weil auch hier Scheinwerfer strahlten. Der Fotograf der Mordkommission schoß gerade seine letzten Bilder.
»Flynn ist tot«, sagte mir Thomsen, »Ein FBI-Fall…«
»Wie kommen Sie darauf?« fragte ich.
Thomsen deutete nur auf das Extrablatt des »Midnight Star«, das auf dem Schreibtisch des so plötzlich dahingeschiedenen Verlegers lag.
Ich las den kurzen Text. Mir war sofort alles klar: Jonathan Flynn hatte sein eigenes Todesurteil geschrieben. Und der Täter konnte niemand anderes als Ernie Brooks sein. Es stand im »Midnight Star«.
»G-MAN JERRY COTTON JAGT REPORTERMÖRDER« lautete die Schlagzeile. Es folgte ein Bericht über den Mord an Ronny Clark. Mein Besuch bei Flynn war geschildert. Das war alles.
Alles, bis auf einen fettgedruckten Satz:
»IN SEINER NÄCHSTEN AUSGABE BRINGT MIDNIGHT STAR ALLES ÜBER ERNIE BROOKS. KAUFEN SIE DEN NÄCHSTEN MIDNIGHT STAR MIT SENSATIONELLEN ENTHÜLLUNGEN! SUCHEN SIE MIT NACH ERNIE BROOKS!«
Wie aus weiter Ferne hörte ich Lieutenant Thomsen sagen:
»Gerade eben haben wir über Funk die Nachricht bekommen. Am Mitchel Square liegt ein toter junger Mann, vermutlich ein Unfall. Nichts in eurer Größenklasse, G-men.«
***
Eine Stunde später fuhr ich mit dem Jaguar wieder in den Hof des Distriktgebäudes.
»Zieh mal die Vorhänge zu, ich will schlafen!« flachste Phil und gähnte so, daß der berühmte Metro-Goldwyn-Meyer-Löwe hätte neidisch werden können.
»Schlafen?« fragte ich. »Was ist das? Vergiß nicht, daß wir zwei Fälle…«
»Hallo!« klang es über den Hof.
In der Tür zum Treppenhaus stand Mister High. Er trug Mantel und Hut.
»Jerry«, sagte er, »ich habe gerade einen Zwischenbescheid bekommen. Weder unsere Labors noch die beteiligten Dienststellen in Europa drüben haben uns bis jetzt greifbare Ergebnisse liefern können. Wir dürfen nicht ungeduldig sein. Ich fahre jetzt für ein paar Stunden nach Hause/ Machen Sie es auch so.«
»Gute Idee!« brummte Phil aus dem Jaguar.
***
Unversehens flog die Tür weit auf.
»Pfoten hoch! Drei Schritte vorwärts!« forderte die Stimme.
Bruno Wastling hatte keine andere Wahl, als den Befehl zu befolgen. Er hob beide Hände und ging in den hellerleuchteten Wohnungsflur hihein.
»Stop!« forderte die Stimme.
Wastling blieb stehen. Er war plötzlich wieder hellwach und bedauerte es nun, seinem Schlafbedürfnis so weit nachgegeben zu haben, daß er schließlich diesen unbedachten Schritt an eine bestimmte Wohnungstür getan hatte.
Immerhin war es acht Monate her, daß er dem Inhaber dieser Wohnung zuletzt begegnet war. Ob der Inhaber jetzt noch der gleiche war wie damals? Wastling versuchte, sich an die Stimme von damals zu erinnern.
»Links um!« forderte die Stimme.
Wastling folgte ihr wieder.
»Scott?« fragte er. Und dann atmete er erleichtert auf.
»Woher kennst du mich?« fragte der Wohnungsinhaber.
Wastling war so
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