0479 - Der Blutjäger
bringen.
Natürlich hätte er lieber in einem Klassehotel logiert. Aber so, wie er aussah - ein verblichener, ausgewaschener Jeansanzug, ungekämmt wildes, langes Blondhaar, recht erschlagen wirkend und dazu eine fast leere Weinflasche in der Hand, versuchte er es erst gar nicht - in den besseren Häusern würde man ihn schneller wieder hinauswerfen, als er eintreten konnte. Wichtig war für ihn nur, daß er einen Raum bekam, in dem er ungestört war - das »Hotel« sah danach aus, als würde sich hier niemand über einen Mord aufregen.
Ermorden wollte Gryf natürlich niemanden.
In einer seiner Taschen fand er ein Stück magischer Kreide und zeichnete ein Pentagramm und diverse Sigille und Beschwörungszeichen auf die Tischplatte - er brauchte nicht einmal vorher die Tischdecke wegzuziehen, weil es keine gab. Er verschüttete etwas von dem Wein in das Pentagramm und wandte dann einen alten Zauber an. In achttausend Jahren lernt man eine Menge. Man lernt auch, daß manche magischen Tricks chemische Analysen ersetzen können. Er brauchte zwar eine Weile, bis er die Symbole und dann den Zauber selbst in der richtigen Ordnung zustandebekam, aber dann klappte es.
Er konnte die Zusammensetzung durchschauen.
Die chemischen Elemente und Moleküle des Weines interessierten ihn nicht - um so mehr der Stoff, den jemand beigemischt hatte. Er war nur in ganz geringer Dosierung vorhanden, aber das reichte offenbar aus. Gryfs Verdacht stimmte. Der Wein schmeckte deshalb so anders, weil sich eine recht unverträgliche Substanz darin befand - Blut.
Vampirblut!
»Verdammt«, murmelte der Druide. »Der Mistkerl ist also hinter Rhiannon her!«
Von einem Moment zum anderen wurde ihm alles klar. Der Vampir, der ihn vor der Haustür angefallen hatte, steckte dahinter. Er wollte Rhiannon - aus welchem Grund auch immer. Möglicherweise hatte er Gryfs Anwesenheit bemerkt und versuchte Gryf auszuschalten.
Aber - warum, bei Merlins goldener Sichel, ging er so umständlich vor, so ungewöhnlich und untypisch? Warum biß er das Mädchen nicht einfach und machte es dadurch zu seinem Opfer? Warum dieses beeinflussende Vampirblut im Wein, durch das auch Gryf angegriffen worden war? - Immerhin hatte dieser Vampir seine Zähne ja auch in Gryfs Hals geschlagen! Weshalb also nicht auch bei Rhiannon?
Das war etwas, was Gryf noch herausfinden mußte; ebenso, weshalb das Foto aus der Agentur in London gestohlen worden war. Was aber auch immer dahinter steckte, was auch immer der Plan des Vampirs war: Fest stand, daß Rhiannon in höchster Gefahr schwebte!
Und möglicherweise war sie bereits von dem Blutsauger entführt worden, in der Zeit, in welcher Gryf seinen blackout hatte.
Er wünschte sich Zamorra her. Der konnte mit seinem Amulett einen Blick in die Vergangenheit werfen und herausfinden, was in der Zeit geschehen war, in welcher Gryf abwesend war.
Aber Zamorra war irgendwo unterwegs. Bis Gryf ihn erreichte, war es möglicherweise schon zu spät. Der Druide mußte sofort handeln!
Aber was konnte er tun?
Zuerst einmal wischte er die Weinflasche und die magischen Zeichen wieder fort. Und wiederum hatte er das Gefühl, das er vorhin schon einige Male gespürt zu haben glaubte: Er fühlte sich von einem unsichtbaren Betrachter beobachtet.
***
»Er hat etwas gemerkt«, murmelte der Vampir nachdenklich. »Ich habe ihn unterschätzt. Dieser Mann ist wesentlich gefährlicher, als ich bisher angenommen habe. Ich muß höllisch aufpassen, daß er nicht den Spieß umdreht und mich zum Gejagten macht. Für ihn war die Dosis offenbar zu gering.«
Das magische Analyse-Experiment mit dem Blut hatte Gryf verraten. So wie das Opfer sich vom Vampir stets hypnotisch angezogen fühlt und der Vampir es kontrolliert, so bestand auch hier eine Verbindung zwischen Sir Ronald und dem Blut, das er in die Alkoholflaschen gemischt hatte. So hatte er natürlich mitbekommen, was Gryf damit anstellte.
»Vielleicht sollten wir diesen Druiden beseitigen« schlug Brian vor.
Sir Ronald dachte an seinen Blutdurst. Er hatte sich zwingen müssen, das Mädchen Rhiannon nicht zu berühren. Er mußte noch warten. Sie mußte freiwillig zu ihm kommen, aber der Weg war bereitet; sie verzehrte sich bereits nach ihm. Er hatte es deutlich gespürt.
Aber er brauchte noch ein anderes Opfer.
Nicht diesen Druiden. Der war kein Opfer für ihn. Der war zu gefährlich.
»Ich kann herausfinden, wo er steckt« überlegte Sir Ronald. »Wir fahren hin. Ich werde jagen, Brian -und du
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