0507 - Die Lady mit dem Schädeltick
Person, die jetzt so dicht bei ihr war, daß sie sie riechen konnte. Parfümduft wurde von Modergestank überlagert, als hätte die junge Frau zu lange in feuchten Räumen verbracht. Mrs. Brent schob diesen ersten Eindruck zur Seite, weil sie sich auf Madeline konzentrieren wollte.
»Du… du kannst es nicht sein!« flüsterte sie. »Du bist gestorben, das weiß ich. Diese Madeline Brent war schlecht, ein Schandfleck in der Ahnenreihe. Ihr Porträt hängt nur deshalb bei uns, weil diese Person so schön war. Eine schöne Bestie …«
»Ich bin Madeline Brent!«
»Die Tote?« Eleonore wollte lachen, aber das blieb ihr im Halse stecken.
»Wer sonst?«
»Nein!« flüsterte die Frau. »Bitte, ich möchte nicht, daß man mich derart belügt. Das stimmt doch nicht. Es ist nicht wahr. Die Tote ist tot. Sie kann nicht leben, du kannst es nicht sein…«
»Ich bin aber zurückgekehrt. Ja, ich, Madeline Brent, bin zurückgekommen, weil ich nicht sterben konnte. Ich werde weitermachen. Weißt du, ich liebe die Leichen. Ich bin gekommen, um an eurem Fest teilzunehmen, aber auf meine Art und Weise.«
Unter dem Druck der kalten Hände hatte Eleonore das Gefühl, allmählich zu versteinern. Auch ihre Stimme hatte einen völlig anderen Klang bekommen. »Hör auf«, sagte sie. »Ich will so etwas nicht hören. Damals hat Madeline Brent genügend Unglück über die Familie gebracht. Sie war blutrünstig, sie hatte sich, so schreibt es die Familienchronik, Salome als Vorbild genommen. Auch sie wollte die Köpfe ihrer Liebhaber…«
»Stimmt genau. Vier Liebhaber, vier Köpfe!«
»Und wo, und wieso?«
Der Druck der Hände löste sich von Eleonores Hüften. »Bleib stehen«, flüstere die unheimliche Besucherin. »Bleib dort stehen, wo du gerade bist. Rühr dich nicht und dreh dich erst um, wenn ich es sage. Hast du verstanden?«
»Ja.«
Es ist Wahnsinn, dachte Mrs. Brent. Verrückt und irre! Da kommt jemand, der aussieht wie eine Ahnherrin von mir und behauptet, dieselbe zu sein. So etwas kann nicht angehen. Wer tot ist, kehrt nicht mehr zurück, da will sich jemand einen Scherz erlauben, einen sehr makabren sogar.
Sie gehorchte und blieb in ihrer steifen Haltung, den Blick auf das Gemälde gerichtet. Jetzt interessierten sie besonders die Augen. Ja, sie waren wunderbar. Herrlich dunkle Pupillen, in denen ein Geheimnis verborgen liegen mußte.
Niemand sah diesem Gesicht an, welche Mordgedanken sich hinter der glatten Stirn abspielten.
Hinter ihr raschelte es. Zuerst konnte sich Mrs. Brent keinen Reim darauf machen, bis ihr einfiel, daß dieses Geräusch deshalb entstehen konnte, weil jemand aus seinen Kleidern schlüpfte.
Ja, das war möglich…
»Jetzt kannst du dich umdrehen, liebe Nachfahrin!«
Eleonore zögerte noch. Sie schluckte, sie zwinkerte mit den Augen.
Auf ihrer Stirn spürte sie den kalten Schweiß, die Gänsehaut lief über den Rücken.
»Dreh dich um!«
Sie tat es!
Es war kein Traum, obwohl sie sich die Szene gewünscht hätte.
Vor ihr stand Madeline Brent und hatte das Kleid zu Boden fallen lassen. Sie stand nackt da, präsentierte ihren schlanken Körper.
Das alles nahm Eleonore nur wie nebenbei wahr. Das Eigentliche an diesem Körper erwischte sie wie ein Hammerschlag.
Unter der Haut, beginnend am Hals und am Bauch endend, sah sie vier Männerköpfe mit weit aufgerissenen Mündern.
Es war einfach zuviel.
Sie konnte den Eindruck nicht mehr verkraften. Alles drehte sich vor ihren Augen, und diesmal war niemand da, der sie abstützte, als sie auf den Teppich schlug.
Madeline Brent aber lachte leise. Den ersten Schock hatte sie verteilt. Andere würden folgen.
Viel schlimmere…
Gemächlich streifte sie wieder ihr Kleid hoch und verdeckte die Blöße.
Ebenso ungesehen, wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder…
***
Jemand hatte Eleonore Brent auf das Sofa gebettet, denn als sie die Augen aufschlug, spürte sie das weiche Polster unter ihrem Rücken und sah ein verschwommenes Männergesicht über dem ihren. Nur allmählich kristallisierten sich die Züge hervor, so daß Mrs. Brent ihren eigenen Ehemann Lucius erkannte.
»Endlich, du bist wieder wach.«
Erleichterung klang aus der Stimme des Mannes.
Seine Gattin reagierte noch nicht. Sie blieb liegen und atmete den Geruch des Gases ein, das aus der Öffnung des kleinen Riechfläschchens drang. Claudia hielt es ihr unter die Nase, und es zeigte einen spürbaren Erfolg, denn Mrs. Brent merkte, daß ihr Kopf allmählich frei wurde
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