0766 - Das Grauen von Grainau
Aufgabe übernehmen.«
»Verstanden, Hochwürden.«
Pfarrer Prantl lächelte noch einmal gütig, nickte und ließ den Gehilfen stehen. Bedächtigen Schrittes ging er auf dem Schotterweg Richtung Straße, wo er stehenblieb, als ihm zwei Frauen entgegenkamen und unbedingt ein Gespräch mit dem Pfarrer über den neuesten Dorfklatsch führen wollten.
Sepp aber hob die Schultern, drückte seinen Filzgut tiefer und machte sich auf den Weg. Zuerst wollte er im Geräteschuppen nachsehen. Dort stand unter anderem ein alter ausrangierter Schreibtisch, in dem der Gärtner das aufbewahrte, was er so haßte, seinen schriftlichen Kram nämlich.
Bevor Huber die Tür aufzog, fiel ihm etwas auf. Man hatte das Schloß und auch sie zerstört. Das Schloß schlimmer als die Tür. Er bückte sich, um es genau in Augenschein zu nehmen. Der Eindringling war mit roher Gewalt vorgegangen, und Sepp Huber kamen komische Gedanken, die etwas mit Angst zu tun hatten. Das Gefühl wollte nicht weichen, als er auf die Tür schaute.
Hielt sich jemand im Gartenhaus versteckt? Er schaute durch das schmale Seitenfenster, sah jedoch keinen Menschen.
Einmal - es lag schon Jahre zurück - war ein Liebespaar am Morgen erwischt worden. Die Sache hatte sich schnell herumgesprochen. So bald würde kein zweites Pärchen mehr die Nacht in diesem alten Gartenhaus verbringen.
Huber verfluchte seinen Kollegen, weil dieser noch nicht erschienen war. Daß das Schloß aufgebrochen war, ließ einfach auf etwas Unnormales schließen. Außerdem hätte er jetzt gern den Pfarrer bei sich gewußt, der aber war im Ort unterwegs, und von der Friedhofsverwaltung konnte er auch niemanden erreichen.
Es sah nicht gut aus…
Trotzdem durfte er nicht kneifen. Sepp dachte an die zahlreichen Wirtshaus- und Schützenfest-Schlägereien, die er hinter sich hatte. Und da hatte er immer gut ausgesehen.
Da würde er sich von so etwas doch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Nein, nicht mit ihm.
Er gab sich einen Ruck, schaute sich noch einmal die Tür an und zerrte sie dann mit einem Ruck auf.
Er blieb stehen, erwartete einen Angriff oder irgend etwas aus dieser Richtung.
Es tat sich nichts.
Nicht einmal eine Maus sprang ihm entgegen. In diesem Stall hielt sich kein Lebewesen auf.
Sepp Huber atmete tief durch. Trotzdem war er nicht beruhigt, als er den Stall betrat. Er kannte ihn ja, es hatte sich auch heute nichts verändert, aber es war trotzdem etwas anders geworden. Nicht sofort zu sehen, aber er spürte es deutlich, ohne zu wissen, wie er sich die Veränderung erklären sollte.
Plötzlich wußte er Bescheid!
Es lag nicht an der Einrichtung, sondern am Geruch, der ihm hier fremd war.
Sepp schnüffelte, bewegte dabei seine Nasenflügel und hatte endlich herausgefunden, wonach es roch.
Nach Kerzenrauch. Aber wer steckte hier Kerzen an?
Sepp wußte es nicht, schaute sich um, schob einiges, zur Seite, auch Werkzeug und fand schließlich die drei Leuchter mit den zur Hälfte abgebrannten Kerzen.
Der Fall wurde für ihn immer rätselhafter. Neun Kerzen, die sich auf drei Leuchter verteilten. Wer, verflucht, hatte sie hier in den Schuppen gestellt, und was hatte der Unbekannte damit bezweckt.
Oder war es kein Unbekannter gewesen, sondern Lichtenegger selbst, der sein eigenes Süppchen kochte? War er bisher verkannt worden? Trieb er ein besonderes Spiel?
Sepp Huber verstand die Welt nicht mehr. In ihm blieb nur eine bedrückende Vorahnung zurück, und er bewegte sich durch den alten Schuppen, als wäre er fremd hier. Er hatte in der Schule nie eine gute Note in Mathematik gehabt, hier aber zählte er gewisse Dinge zusammen und kam zu dem Ergebnis, daß einiges faul war.
Er glaubte nicht mehr daran, daß der Gärtner verschlafen hatte oder versackt war. Da mußte irgend etwas anderes vorgefallen sein. Möglicherweise sogar etwas Schlimmes.
Sepp ging ihn nicht suchen. Zudem gehorchte er dem Pfarrer. Was der sagte, war für ihn Gesetz.
Hochwürden hatte gemeint, daß Lichtenegger noch kommen würde, also wollte sich Huber an die Arbeit machen und die Gräber abgehen.
Der alte Schreibtisch stand neben dem Fenster mit der schmutzigen Scheibe. Sie ließ nur wenig Licht durch, das kaum die verstaubte Schreibtischplatte erreichte. Der Platz war wohl mehr ein Alibi für das alte Möbelstück.
Sepp Huber zog die mittlere Schublade auf, fand den Block, auch einen Kugelschreiber und nahm beides mit. Er war froh, wieder ins Freie treten zu können, wo er zunächst einmal tief
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