0772 - Die Rache des Toten
war ein kleines Ländchen zwischen Frankreich und Spanien, ein Zwergstaat gewissermaßen.
Was Zamorra bis kurz vor seiner Abfahrt noch nicht gewusst hatte: Andorra la-Vella war mit 1079 Meter die höchstgelegene Hauptstadt Europas. Sie lag in einem schmalen Tal der Pyrenäen, in der Nähe des Zusammenflusses des Valira und des Valira del Norte. Die Stadt war von Touristen überlaufen, denn Tourismus stellte die Haupteinnahmequelle des Zwergstaats dar. Das war kein Wunder, weil es in der Nähe gute Wintersportmöglichkeiten gab -und es herrschte Hauptsaison.
Was Zamorra schmerzlich anhand des zähflüssigen Verkehrs erfuhr.
Die Hauptstadt von dreieinhalb kleineren Ortschaften. Zynismus war das Einzige, was in dieser Situation half.
Kurz vor der Hauptstadt, Andorra la Vella, bog Zamorra ab. Rechts und links vom Weg lag Schnee. Die Straße nach El Castellar war, laut Radiomeldung, zum Glück geräumt.
Die so genannte Straße entpuppte sich nur als schmaler, ausgebauter Feldweg. Dafür ließ langsam der Schneeregen nach, und ein starker Wind kam auf. Die Wolken verschwanden, der Himmel wurde klar. In dieser Nacht würde es frieren.
Eines musste Zamorra zugeben: Der Ausblick war fantastisch.
»Fast so schön wie gemalt«, murmelte er begeistert, als er die letzten Sonnenstrahlen des Tages über dem Tal sah. In der Ferne sah er den Pic de Casamanya, einen der höchsten und schönsten Berge des Landes.
Dann musste sich Zamorra wieder auf die Straße konzentrieren. Lediglich die Skizze mit dem Weg war ihm geblieben. Sie hatte sich noch nicht aufgelöst. Aber er war sich sicher, dass das nach Auffinden der ominösen Stelle geschehen würde. Für alle Fälle hatte er sie fotokopiert. Nachdem die erste Skizze und die beiden Botschaften verschwunden waren, wollte er etwas in der Hand haben.
»Jetzt kann es nicht mehr weit sein«, freute er sich und gab Nicole über das Handy Bescheid, wo er sich befand.
Seine Gefährtin war erleichtert, dass er sich meldete. Sie hatte die Grenze zum Zwergstaat erreicht. Auch dazu musste ein Mietwagen herhalten, denn ihr Oldtimer, ein weißes Cadillac-Cabrio, Baujahr 1959, war ihr zu schade für einen solchen Einsatz.
»Es kann nicht mehr weit sein, Nici«, meldete er sich. »Seit der Schneeregen nachlässt, komme ich besser voran. Außerdem ist der Verkehr nur noch halb so dicht wie weiter unten.«
»Da geht’s dir besser als mir«, antwortete Nicole Duval. Auch sie besaß eine Kopie der Skizze. »Ich habe gerade die Grenze überquert und stecke im Stau fest.«
Sie kamen überein, dass Zamorra sich wieder melden sollte, wenn er die befohlene Stelle erreicht hatte.
Was Zamorra nicht mehr zu hoffen wagte, trat ein: Um 17 Uhr 56 hatte er die auf der Skizze angegebene Stelle kurz vor einer Kurve erreicht. Eine halb verfallene Scheune, die schon auf den ersten Blick aussah, als wäre sie seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Zamorra schätzte, dass die Scheune acht Meter lang und vier Meter breit war. Dazu kamen noch etwa vier Meter in der Höhe.
Fast hätte er sie bei den herrschenden Sichtverhältnissen nicht gesehen.
»Niemand da«, murmelte Zamorra. »Oder hat er sich im Inneren dieser Bruchbude versteckt?«
Er hielt den BMW am Straßenrand an, einige Meter vor der windschiefen Scheune, und schaltete das Parklicht an, damit andere Autofahrer in der Dämmerung auf den geparkten Wagen aufmerksam würden. Schließlich wollte er keinen Auffahrunfall provozieren - dazu lag ihm der BMW zu sehr am Herzen.
Er meldete sich noch mal über Handy bei Nicole. Danach stieg er aus und zog sich eine dicke Jacke an. Während der Fahrt störte ihn das Kleidungsstück. Er zog den Reißverschluss zu und verschloss mittels Fernbedienung die Zentralverriegelung des Wagens.
Er betrachtete die Umgebung und lief zur Scheune. Fußspuren im Schnee bewiesen, dass mehrere Menschen erst vor kurzem hier gewesen sein mussten.
Hoffentlich war auch Avenge darunter, dachte er.
Doch daran glauben wollte er nicht. Dazu war der Reeder zu clever.
»Wenn er mich diesmal wieder für dumm verkauft, dann war dies das letzte Mal, dass ich mich zu so etwas hergegeben habe«, knurrte Zamorra.
Der Wind war schneidend kalt, und seine Laune sank ebenso schnell wie die Temperaturen.
»Avenge?«, rief er. »Luc Avenge? Sind Sie hier?«
Keine Antwort erfolgte.
Er klopfte an die Scheunentür. Das morsche Holz wäre fast unter seinen Händen zerbrochen.
»Keiner zu Hause. Schauen wir einmal, wie es auf der anderen Seite
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