0919 - Die Rache
welchen Gründen auch immer. Aber es ist nicht gesagt, daß dies auch so bleiben wird.«
»Was meinst du denn damit?«
Vicenca stellte den Teller ab. »Das kann ich dir sagen. Die nächste Begegnung wird schlimm werden.«
»Und was macht dich so sicher?«
»Wir können der Rache nicht entgehen. Wir haben uns lange genug an der Umwelt und an der Natur versündigt. Es ist einfach eine logische Folge, daß sie nur zurückschlägt, und zwar mit den Mitteln, die die Menschen begreifen, Pepe.«
»Durch Tod.«
»Ja..«
»Auch Mord.«
»Zum Beispiel.«
Pepe schwieg aus zwei Gründen. Zum einen hatte er Hunger und wollte essen, zum anderen hatte es keinen Sinn mehr, sich mit Vicenca darüber zu unterhalten. Sie sah einfach alles zu negativ, zu bedrohlich, aber sah sie es auch falsch?
Er hörte, wie sie betete. An diesem Mittag waren es andere Worte, die aus ihrem Mund drangen. Sie flehte darum, erhört zu werden.
Sie bat den Herrgott, den Rachefeldzug zu stoppen. Sie schwor Besserung, und sie schwor auch, sich mit ihrer ganzen Kraft dafür einzusetzen, daß die Menschen die Natur nicht noch mehr vergewaltigten.
Pepe saß da und aß. Trotz der heißen scharfen Suppe und trotz der stickigen Luft war ihm kalt geworden. Auf seinem Rücken lag eine Platte aus Eis, die sich immer weiter bewegte und ihn regelrecht zittern ließ.
Auch seine Frau aß. Sie saßen im rechten Winkel zueinander. Hin und wieder warf Pepe ihr einen Blick zu, aber Vicenca schaute nicht auf, sondern starrte nahezu blicklos auf ihren Teller und auch auf den Löffel, der in ihrer Hand zitterte.
Die ersten Bissen hatten ihm geschmeckt, die Suppe war wirklich gut und kräftig, auch die Bohnen darin waren in Ordnung, aber je länger er aß, und je mehr er nachdachte, um so stärker zog sich sein Magen zu.
Schließlich legte er den Löffel weg.
Vicenca schaute zur Seite und ihn damit an. »Du willst nichts mehr essen, Pepe?«
»Nein. Ich habe keinen Hunger mehr.« Mit seinem Stuhl rückte er zurück.
»Schmeckt es dir nicht?«
»Mir ist der Appetit vergangen.«
»Dann spürst du auch den Druck?«
Marcas hob die Schultern. »Kann sein.« Er wischte sich die Schweißtropfen von seinem dünnen Oberlippenbart. »Es ist alles möglich, ich bin – verdammt noch mal, ich weiß es selbst nicht genau.«
Auch Vicenca aß nicht mehr. »Was willst du denn jetzt machen?« erkundigte sie sich.
»Für heute habe ich meine Arbeit beendet.«
»Dann gehst du nicht mehr weg?«
»So ist es.« Er nickte zweimal, um die Antwort zu bekräftigen.
»Das ist gut, Pepe.«
»Wieso ist das gut?«
»Dann können wir zusammenbleiben, verstehst du? Wir müssen uns aufeinander verlassen, das allein ist wichtig. Wir sind eben – nun ja, wir haben uns…«
Er stand auf. »Behalte es für dich, Frau. Ich werde mich hinlegen. Ich möchte schlafen. Und wenn es dich beruhigt, dann will ich dir sagen, daß du recht hast.« Er beugte sich nach vorn, um in das Gesicht seiner Frau schauen zu können. »Ja, Vicenca, auch ich habe das Gefühl, daß sich etwas verdichtet, daß etwas auf uns zukommt. Bete zu Gott, daß wir dieser Rache entgehen können.«
Nach diesen Worten erschien auf dem Gesicht der Frau ein Lächeln, über das sich Pepe nur wundern konnte. »Danke«, sagte sie leise. »Ich danke dir, daß du so denkst.«
Er strich über ihr Haar, das noch immer so schwarz war wie bei der Heirat. »Nun ja, ich denke, daß wir uns nichts vorzuwerfen haben, wir persönlich, meine ich.«
Vicenca lächelte etwas verloren. »Dann drücke uns die Daumen, daß es auch die andere Kraft weiß.«
Pepe wußte keine richtige Antwort und sagte deshalb: »Ich gehe jetzt schlafen. Ich versuche es zumindest.«
»Tu das.« Sie schaute ihm nach, wie er mit müden Schritten auf den Vorhang zuging und dahinter verschwand. Sie hörte noch das Knarren des Bettes, dann wurde es still.
Vicenca Marcas blieb am Tisch sitzen und faltete die Hände zum Gebet.
Es war die einzige Hoffnung, die ihr blieb…
***
Zehn Minuten mochten vergangen sein, als die Frau ihre Hände wieder auseinanderzog, sich erhob, lang seufzte und dorthin lauschte wo ihr Mann schlief.
Sie hörte keine Atemzüge, was eigentlich darauf schließen ließ, daß Pepe keine Ruhe gefunden hatte. Wenn er schlief, dann schnarchte er, als wollte er einen ganzen Wald abholzen. Ihr gefiel der Vergleich nicht, und sie schüttelte den Kopf.
Vicenca erinnerte sich wieder an ihre hausfraulichen Pflichten und räumte den Tisch ab. Sie
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