0948 - Leonoras Alptraumwelt
aber was dann geschah, darüber konnte ich bisher nur spekulieren.
Sie zog die Tür etwas weiter auf. Dann tappte sie - noch immer barfuß - in den Flur hinein, blieb dort etwas verwirrt stehen, um sich umzuschauen und sich dann selbst im Spiegel zu betrachten, als wollte sie herausfinden, was sie geweckt hatte.
Das schaffte sie nicht, und sie drehte sich einer anderen Tür entgegen. Es war die Küchentür. Viele Menschen stehen in der Nacht auf, weil sie eine trockene Kehle haben und sich dann etwas zu trinken holen. So würde es auch bei Glenda Perkins sein, obwohl ich da schon meine berechtigten Zweifel hatte.
Darüber dachte ich nicht weiter nach, denn meine Sekretärin war mir im Moment wichtiger.
Ich kannte ja ihre Wohnung. Ich kannte auch ihr Schlafzimmer, in dem wir schon manch heiße Nacht verbracht hatten. Glenda war auch des öfteren in ihrer Wohnung attackiert worden, aber so wie in dieser Nacht war es noch nie passiert.
Hier lief alles anders, denn ich hatte durch meine Phantasie Glenda in diese Lage gebracht. Sie war nicht von selbst erwacht, aufgestanden und in die Küche gegangen. Ich hatte dafür gesorgt, und es sah auch so aus, als wäre sie dabei, sich nicht normal, sondern wie in Trance zu bewegen.
Sie schaltete in der kleinen Küche das Licht ein, das sich auf der blendenden Oberfläche des Ofens widerspiegelte. Für einen Moment blieb Glenda unschlüssig in der Küche stehen, wie jemand, der nicht wußte, was er dort eigentlich sollte.
Etwas störte mich.
Es war die Stimme der Voodoo-Frau, die meine Gedanken und Phantasien unterbrach.
»Du magst sie, nicht?«
Ich konnte nicht antworten.
Leonora aber sprach weiter. »Ich weiß, daß du sie magst. Ich weiß es ganz genau. Sie bedeutet dir viel. Ich weiß fast alles über dich. Ich habe mich vorbereitet, weil ich genau wußte, daß eines Tages der Punkt kommen muß, an dem wir aufeinandertreffen. Jetzt ist es soweit, und du bist nur mehr ein Spielzeug in meinen Händen. Ich kann dich leiten, ich werde dich leiten, ich werde meine Macht über deine Phantasie auskosten und sie dann zur blutigen Wahrheit werden lassen. Alles, was du dir vorstellst, soll und wird in Erfüllung gehen, das kannst du mir glauben, und du müßtest mir eigentlich dankbar sein.«
Die Stimme störte mich. Ich wollte sie nicht. Ich haßte sie, aber die verfluchte Frau ließ sich nicht abschütteln. Sie versuchte, mich zu manipulieren; sie wollte mich auslachen und fertigmachen.
Dann aber war sie weg.
Meine Phantasie baute wieder das Bild auf, das für einen Moment verschwunden war.
Ich sah die Küche, ich sah auch Glenda, und ich sah, wie sie mit gerunzelter Stirn in der Mitte stand, wo sich eine freie Fläche befand. Sie machte den Eindruck einer Frau, die zwar gewußt hatte, was sie unternehmen sollte, dies aber in der letzten Zeit und jetzt versuchte, sich die Dinge wieder in Gedächtnis zurückzuholen.
Schaffte sie es? Schaffte ich es? Sie handelte ja so, wie ich es für richtig hielt - oder vielmehr meine Phantasie. Sie würde eben alles tun, was meine Botschaft anbetraf, bis hin zum Äußersten oder Schrecklichsten.
Glenda hatte sich entschlossen. Sie nickte in eine bestimmte Richtung. Den Kopf hatte sie dabei dem Fenster zugewandt, vor dem ein Rollo hing.
Ein kleiner, roter Weihnachtsstern wuchs in einem Blumentopf, der auf der Fensterbank seinen Platz gefunden hatte, um einen weihnachtlichen Gruß in die Küche zu schicken.
Sie bewegte sich auf das Fenster zu, öffnete es jedoch nicht, sondern blieb links neben der Spüle stehen, wo sich auch die Schubladen befanden, in denen die zahlreichen Bestecke aufbewahrt wurden.
Löffel, Gabeln - und Messer!
Gerade das letzte Wort peitschte etwas in mir hoch, mit dem ich nicht zurechtkam. Da war etwas, ja, aber mein Gehirn weigerte sich einfach einen Schritt weiter zu denken. Ich wurde von einer anderen Kraft abgeblockt, denn es sollte keine Gegenreaktion aufgebaut werden.
Nichts durfte dieses Gebilde meiner Phantasie stören. Es war alles eingeplant. Die verdammte Voodoo-Hexe hatte lange daran gearbeitet, und ich war ebenso eine Marionette in ihren Händen wie auch Glenda Perkins, die sich noch in der Küche aufhielt und sich jetzt zu einem Entschluß durchgerungen hatte.
Sie zog eine Schublade auf.
Es war die mit den Bestecken.
Also auch die mit den Messern…
Glenda Perkins hob den rechten Arm und bewegte ihre Hand auf die Lade zu. Die Finger hielt sie ausgestreckt. An den Nägeln klebten noch Reste
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