0952 - Nacht über New Amsterdam
Polizeirechner vorgenommen und recherchiert, welche Bedeutung die drei in Krings Sarg gelegenen Objekte haben mochten. Millerton untersuchte derweil den Finger. Krings Schuhgröße, soviel wussten sie bereits, stimmte mit dem Fußabdruck am Tatort überein.
»Lassen Sie hören, Sipowicz«, forderte Zandt ihn auf. »Wobei ich bei Ihrem Grinsen befürchte, die Antwort nicht zu mögen.«
»Genauso wenig wie ich, Sir.« Der Sergeant räusperte sich kurz, dann legte er los. »Die hölzerne Rolle, die Feder und der Finger… Einzeln haben sie keine weitere Bedeutung, doch in dieser Zusammenstellung bilden die drei Objekte den Kern eines alten, pseudo-religiösen Rituals, das auf die Watumbi zurückgeht und mit dem Tote heraufbeschworen werden sollten.« Sein Grinsen wurde breiter. »Verstehen Sie? Watumbi? Das ist unser Zusammenhang!«
Zandts Gesichtsausdruck skeptisch zu nennen, wäre eine himmelschreiende Untertreibung gewesen. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was oder wo ist Watumbi, und was hat es mit unserem Mord und unserem Leichenraub zu tun? Vorausgesetzt, dieser Kring ist tatsächlich tot.«
»Ist er«, sagte Diane Millerton, die ebenfalls gerade den Raum betrat. »Ohne Zweifel. Der einzelne Finger stammt eindeutig von Krings linker Hand - und die war zum Zeitpunkt der Abtrennung nicht mehr Teil eines lebenden Organismus.«
»Dann wäre das also geklärt«, zeigte sich Zandt unbeeindruckt. »Wir haben tatsächlich einen Leichenraub. Und Leichenschändung obendrein.«
Andy nickte langsam, als müsse auch er die neuen Informationen im Geiste erst an ihren Platz sortieren. Dann fuhr er fort. »Ein Watumbi ist…«
»Natürlich!«, brach es aus Millerton hervor. »Darauf hätte ich auch gleich kommen können.« Sie sah erschrocken aus. Vermutlich hatte sie das gar nicht laut sagen wollen, und fürchtete nun einen Rüffel. Doch Andy nickte ihr nur auffordernd zu. »Watumbi nennen sich die Angehörigen einer alten Indianersekte, wie sie vor den Tagen der Pilgerväter hier auf dem heutigen Stadtgebiet vertreten war«, erklärte sie. »Eine religiöse Splittergruppe, sozusagen, die sich von der gängigeren Lehre ihres Volkes abgewandt und eigene Riten und Überzeugungen entwickelt hatte.«
»Und schon wieder eine Geschichtsstunde«, murmelte Zandt und verschränkte unzufrieden die Hände hinter dem Kopf. »Denkt an die Relevanz, Leute! Der Quatsch ist doch Jahrhunderte her. Warum höre ich mir das an?«
»Weil dieser ›Quatsch‹ gerade die Schuld daran trägt, dass Tag für Tag Tausende von Menschen den Park Place blockieren und zu einem Verkehrschaos führen«, antwortete Andy und übernahm den Rest der Erzählung.
51 Park Place, gut zwei Blocks vom ehemaligen Standort des World Trade Centers entfernt, war derzeit eines der heißesten Themen Amerikas, wurde dort doch ein Religionszentrum nebst kultureller Begegnungsstätte gebaut, in dem die Stadt diversen Glaubensgemeinschaften, die aus verschiedensten Gründen bisher kaum eigene Gebetshäuser im Ortskern besaßen, entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung stellen wollte. Zamorra, der bereits aus der Presse von dem Vorhaben erfahren hatte, lernte nun, dass das Gebäude einigen New Yorkern ein Dorn im Auge war - wegen eines ganz speziellen Mieters. Im obersten Stock von 51 Park Place sollte eine muslimische Gebetsstätte eingerichtet werden. Und das fand insbesondere der xenophobe und untergebildete Teil der hiesigen Bevölkerung schlecht und versteckte seine Ablehnung gegenüber allem Muslimischen hinter dem Deckmantel des Takts. Es sei taktlos, so der Tenor auf den Straßen, in Nachbarschaft dieser von muslimischen Terroristen geschaffenen Narbe New Yorks eben jenen Muslimen einen Platz einzuräumen. Sippenhaft auf republikanisch.
»Und wenn ich nicht irre«, schloss Andy seinen kurzen Vortrag, »zählen auch die Watumbi zu den Mietern von 51 Park Place.«
»Moment, Moment«, sagte Zandt und hob die Rechte in die Luft. »Sie sagen also, in diesem Gebetshaus-Ding, wegen dem hier alle so aus dem Häuschen sind, wird auch eine Indianersekte wohnen, die seit Jahrhunderten nicht mehr existiert?«
»Sie existiert«, widersprach Millerton wissend. »Zumindest ein kleiner Kern hat sich bis in die Gegenwart gehalten. Und der bezieht Räumlichkeiten am Park Place, korrekt.«
»Aber warum?« Zandt runzelte die Stirn. »Dieses Watumbi ist ja wohl kaum eine Weltreligion. Scheiße, selbst die Amish werden mehr Anhänger haben. Weshalb bekommt so eine kleine
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