0964 - Königin der Toten
wie es kommt, daß man mich zu einer Königin der Toten machen will. Ich weiß es wirklich nicht. Was habe ich denen denn getan? Verdammt!«
»Noch sind Sie es nicht«, sagte ich. »Sie müssen sich wirklich beruhigen, Iris.«
»Das sagen Sie so einfach. Jetzt, wo es dicht davorsteht, habe ich eine so große Angst, daß ich kaum sprechen kann. So etwas habe ich noch nie durchgemacht.«
Wir auch nicht. Aber das sprach ich nicht offen aus, aus bekannten Gründen, um niemanden zu beunruhigen.
Suko stand nicht bei uns. Er war zum Eingang gegangen. Wir warteten gespannt ab, wann er sich öffnen würde, um uns in die andere Welt zu entlassen.
Nichts passierte.
Die Zeit verging.
Iris suchte meine Hand, fand sie. Ich spürte ihre schweißfeuchten Finger.
In der Pyramide war es noch stickiger geworden. Während des Flugs war keine frische Luft hineingedrungen, hatte kein Austausch der Atemluft stattgefunden.
Warten, immer noch…
Und dann hörten wir das Knarren. Iris, die mich noch immer hielt, zuckte zusammen. Für einen Moment krallten sich die Finger härter um mein Gelenk. Ich spürte die Nägel wie kleine stumpfe Messer in meiner Haut.
»Jetzt«, sagte sie leise und heftig. »Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Jetzt wird es geschehen…«
»Ruhig, Iris, ruhig! Behalten Sie bitte die Nerven. Wir sind bei Ihnen.«
»Aber ich soll die Königin der Toten werden.«
»Noch steht es nicht fest.«
»Gott, lieber Gott, was mache ich nur?« Sie zitterte.
Ich glaubte nicht, daß sie in der Lage war, nach vorn zu schauen und die Tür zu beobachten, die immer weiter aufschwang, so daß der erste Lichtstreifen hereinfiel.
Es war kein strahlendes Licht, aber es wurde heller, und zusammen damit drang ein Geruch an unsere Nasen, der anders war. Es stank aber nicht nach Verwesung. Die Luft war trocken, als würde sie aus einer sonnendurchglühten Schüssel hervorsteigen.
Suko hatte uns bisher seinen Rücken gezeigt. Jetzt drehte er sich um und schlug vor, erst einmal allein nach draußen zu gehen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen.
Ich war damit einverstanden und gab ihm dies auch durch ein Nicken zu verstehen.
»Bleiben wir noch, John?«
»Keine Sorge, Iris, es wird schon alles klappen.«
Suko bewegte sich mit langsamen Schritten nach draußen. Es war dort hell, aber es schien keine Sonne. Mein Freund warf auch keinen Schatten. Er entfernte sich einige Schritte von der Pyramide, blieb dann stehen und schaute sich um.
Auch ich hatte einen Blick nach draußen geworfen. Ich war auch mit Iris vorgegangen, ohne die Pyramide jedoch zu verlassen. Nahe der Tür waren wir stehengeblieben.
Der Anblick erinnerte mich an eine Wüste. Es gab nichts Grünes, keinen Baum, keinen Strauch, nur eine Ebene, die man als Sand- und Geröllwüste bezeichnen konnte. Hier würden wir kein Wasser finden. Als ich daran dachte, spürte ich wieder meinen Durst, der mich schon seit einiger Zeit quälte.
Nicht mal verdorrtes Holz sah ich auf dem karstigen Boden. Hier schien es überhaupt keine Vegetation gegeben zu haben. Das war eine Öde, die depressiv machen konnte. Eine schreckliche Leere.
Sie ging aufs Gemüt.
Suko gab noch keinen Kommentar ab, aber er winkte uns beruhigend zu. Also hatte er keinen Feind entdeckt. Auch nicht weit im Hintergrund, wo sich schwache, graue Schatten unterschiedlicher Höhe abmalten. Ein fernes Gebirge, das möglicherweise eine Grenze bildete.
Ich wollte schon gehen und die Pyramide verlassen, als mir Iris Jarrel eine Frage stellte. »Können Sie sich vorstellen, wo wir hier gelandet sind, John?«
»Ja. Und es hat keinen Sinn, wenn ich es Ihnen vorenthalte, auch wenn es sich noch so phantastisch anhört.«
»Sprechen Sie! Ich bin auf alles gefaßt.«
»Der Begriff ist schon des öfteren gefallen, Iris. Wir scheinen uns in Atlantis zu befinden.«
Da sie mich noch immer festhielt, spürte ich auch, wie sie zusammenzuckte. »Atlantis…?«
»So ist es.«
»Aber das gibt es doch nicht. Oder nicht mehr.«
»Wir sind in die Vergangenheit geflogen, Iris. Wir befinden uns tatsächlich in Atlantis.«
Mit der freien Hand strich sie über ihr Gesicht. »Aber das kann doch nicht stimmen. Das begreife ich nicht. Das gehört in einen Film, John. Bitte, warum sagen Sie das?«
»Denken Sie darüber nicht nach, Iris. Akzeptieren Sie es einfach - und glauben Sie mir«, sagte ich mit absichtlich weicher Stimme.
Iris nickte und sperrte sich nicht dagegen, als ich sie sanft über die Schwelle schob.
Suko
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