1002 - Höllenqualen
an.
Der Abbé stand auf, drehte sich und ging auf die schmale Garderobe zu. An einem Haken hing sein Mantel. Von innen war er mit Kunstpelz gefüttert.
Er streifte das dunkelgraue Kleidungsstück über, schaute für einen Moment auf seine Schuhe und wechselte sie nicht. Sie würden einen Gang aushalten. Dann verließ er sein Büro.
Niemand fragte ihn, wohin er wollte. Im Flur an der Haustür stand ein Bruder und strich einen Fensterrahmen. Als er seinen Chef sah, ließ er den Pinsel sinken.
»Du verläßt das Haus, Abbé?«
»Ja, ich werde ein wenig Spazierengehen. Ich muß für mich sein. Aber ich komme zurück. Spätestens am Mittag.«
»Gut.«
Bloch nickte dem Mann zu, zog die Tür auf und trat hinaus ins Freie. Ja, die Sonne schien, doch im Januar hatte sie kaum Kraft.
Bloch hatte ein Ziel. Nur hatte er dasfür sich behalten. Er wollte in die Kathedrale der Angst gehen, um dem silbernen Skelett des Hector de Valois einen Besuch abzustatten…
***
Ich hatte den Kopf gesenkt und wußte nicht, was ich denken sollte, als ich neben dem Roten Ryan herging, der mich praktisch in diesem Land Aibon empfangen hatte.
Gelandet war ich bei meiner Reise weder in Avalon, noch in der alttestamentarischen Zeit, wie ich es mir gewünscht hätte. Das aber sollte noch folgen, denn das Paradies der Druiden war so etwas wie ein Zwischenstopp für mich, eine Etappe, denn das Rad der Zeit würde mich weiter zurücktransportieren, davon ging ich aus.
Ich hatte es noch nicht gesehen, aber ich war froh, daß es sich in Aibon befand und dort seinen endgültigen Standort erreicht hatte, bewacht vom Roten Ryan, der es auch gegen Angriffe verteidigte, wie ich es bei den Schatten erlebt hatte.
Ryan ahnte, wie mir zumute war, deshalb ließ er mich auch mit Fragen in Ruhe. Er hatte mir nur erklärt, daß wir noch ein Stück laufen mußten, um das Rad zu erreichen.
Ich vertraute ihm. Aber die Gedanken konnte ich nicht abschalten.
Immer wieder versuchte ich mir vorzustellen, wie die Zeit damals, als Salomo noch lebte, wohl ausgesehen hatte.
Aus Büchern wußte ich, daß er die Lade in seinen berühmten Tempel gestellt hatte, aber dort war sie nicht mehr. Sie war irgendwann abgeholt und weggeschafft worden. Das hatte mir auch Angares in der Kathedraleberichtet. Angeblich war der Dieb ein gewisser Azarius gewesen, aber das ließ sich nicht genau feststellen. Ich hoffte nur, daß ich zu dem Zeitpunkt eintreffen würde, als die Dinge noch in der Schwebe waren.
Ob ich überhaupt in der entsprechenden Zeit landen würde, stand auch noch nicht fest, aber meine Zweifel waren nicht groß, denn ich trug etwas bei mir, das man als einen Führer oder Indikator ansehen konnte, das Schwert des König Salomo.
Ich traute dieser Klinge einiges zu, auch Kräfte, die mir bisher verborgen geblieben waren, aber genaues wußte ich nicht.
Dem Roten Ryan gefiel mein Schweigen nicht. »Du wirkst deprimiert, John.«
»Das mag sein. Ich habe auch keinen Grund, fröhlich zu sein. Ich denke nicht eben optimistisch an die Dinge, die noch auf mich zukommen werden. Es ist sogar möglich, daß sie mein bisheriges Leben völlig umkrempeln können…«
»Vertraust du dem Rad der Zeit nicht?«
»Schon, es hat mich nie enttäuscht, und es hat auch mit meinen Gefühlen nichts zu tun. Sie sind einfach vorhanden, weil ich erstens nicht weiß, wo diese Reise endet und ich zweitens auch nicht sicher bin, ob ich das Optimale unternehme.«
»Was hättest du sonst tun wollen?«
Ich blieb stehen und stemmte das Schwert mit der Spitze vor meinen Füßen in den weichen Boden. Zweifelnd schaute ich meinen Freund aus Aibon dabei an. »Das weiß ich nicht, Ryan. Ich fühle mich wie jemand, der in einem Vakuum schwebt und dabei verzweifelt versucht, irgendwo Halt zu bekommen.«
Er nickte. »Ja, das begreife ich. Das begreife ich sogar sehr gut, aber all die Dinge wollen wir jetzt einmal außeracht lassen.« Er lächelte mir zu. »Wir sind nämlich gleich da.«
Ich hob den Kopf. Meine Haltung straffte sich. Ich wirkte nicht mehr wie ein armer Sünden, das war ich auch nicht. Ich war jemand, der sich vorgenommen hatte, die Lade zu finden, wenn alles klappte, und da mußte ich auf meine Kräfte vertrauen.
Das Rad der Zeit stand frei. Nicht im Schutz eines Waldes oder verborgen in einer Höhle. Es wirkte auf mich wie ein Denkmal, das stolz darauf war, einen bestimmten Platz unter einem leicht grünlich schimmernden Himmel bekommen zu haben, und es war wirklich ein Rad und kein
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