1221 - Geschäft mit der Angst
Alter, trug ein schlichtes beiges Kleid, um dessen Taille sie einen Gürtel aus rotem Stoff geschlungen hatte. Bill beachtete die Frau nicht. Sie stand vornübergebeugt vor der Arbeitsplatte und starrte einen Messerblock an, der ihr wohl eine wahnsinnige Angst einjagte.
Den rechten Arm hatte sie angehoben und die Hand ausgestreckt, aber sie blieb starr. Selbst die Finger zitterten kaum.
Sie zielten auf die aus dem Block ragenden Messergriffe, und es sah so aus, als wollte die Frau jeden Augenblick nach einem der Messer fassen, um es aus dem Block zu ziehen, was sie jedoch nicht schaffte.
Die Angst war zu groß.
Angst vor Messern. Sie war in die Klinik gekommen, um die Angst zu überwinden, und der große Meister hielt sie nun in ihrer eigenen Welt gefangen, wo es nur das gab, vor dem sie sich fürchtete und sonst nichts anderes.
Sie konnte nicht. Sie versuchte es. Sie schluchzte. Sie bebte am gesamten Körper. Die Frau sah nur die Messer im Block, für etwas anderes hatte sie keinen Blick. Sie war eingeschlossen in ihrer kleinen Insel der Furcht, und immer wieder zuckte die Hand vor, doch es kam nie zu einem Kontakt.
Bill Conolly war in ihrem Fall ratlos. Er wusste wirklich nicht, wie er sich verhalten sollte. Er selbst konnte der Frau nicht helfen, aber er schaute an ihr vorbei und sah, dass die Küche eine zweite Tür hatte, die auf der anderen Seite nach draußen führte.
Der Ausgang war in der oberen Hälfte verglast. Bills Blick fiel auf einige Bäume, die in der Umgebung des Hauses standen.
Plötzlich interessierte ihn der Ausgang sehr. Er hatte seine eigene Angst überwunden, stand zwar noch unter Stress, aber er dachte mittlerweile so klar, dass Flucht wohl die beste Möglichkeit war, um wieder die Normalität zu erreichen.
So schlich er vor. Den Blick nach vorn gerichtet, aber auch zur Seite schielend, weil er die Frau nicht aus den Augen lassen wollte. Irgendwie fühlte er sich für sie verantwortlich, zugleich fürchtete er sich davor, dass es ihr gelingen könnte, die Angst zu überwinden und nach einem Messer zu greifen.
Zwei kleine Schritte war Bill bereits in die Küche hineingegangen, als er die Stimme der Person hörte.
»Ich muss es tun! Ich muss es tun! Sonst kann ich nicht mehr leben. Ich muss es schaffen!«
Da griff sie zu!
Sie schrie dabei auf. Bill erschreckte sich und blieb automatisch stehen. Er drehte den Kopf nach links und sah, dass es die Frau tatsächlich geschafft hatte.
Ihre rechte Hand umklammerte den größten Holzgriff des Messers, das ganz oben aus dem Klotz hervorschaute. Mit einer ruckartigen Bewegung zog sie es hervor und drehte sich, kaum dass das Messer frei lag, mit einer schnellen Bewegung herum.
Sie sah Bill. Er sah sie, und er schaute direkt auf das Messer, dessen Spitze auf ihn zeigte.
Bill konnte nicht sagen, wer von ihnen überraschter war, nur fühlte er, dass er sich in großer Gefahr befand. Die Frau brauchte das Messer mit der breiten und scharfen Unterseite der Klinge nur nach vorn zu stoßen, um ihn zu erwischen.
Sie tat es nicht. Stattdessen schaute sie Bill an. »Geschafft, ich habe es geschafft. Ich habe meine Angst überwunden. Ich… ich… habe es geschafft…«
Bill Conolly traute seinen Ohren nicht. Je länger die Frau sprach, desto mehr veränderte sich ihre Stimme. Hatte sie zu Beginn ihrer Rede noch fern und flüsternd geklungen, so nahm er sie am Ende des Satzes völlig normal wahr. Bill war ein schneller Denker. Er konnte sich gut vorstellen, was hier passiert war. Bei dieser Frau hatte die Therapie des Meisters gewirkt. Es war ihr möglich gewesen, die Messer-Phobie zu überwinden. Sie hatte es geschafft, das Messer anzufassen und aus dem Block zu holen. Für sie gab es keinen Grund mehr, in ihrer Angstwelt zu bleiben, denn mit dieser Aktion war sie geheilt und hatte zugleich ihre Insel verlassen.
Sie nahm Bill wahr.
Als er den Ausdruck ihrer Augen sah, wusste der Reporter, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Sie hatte die Welt der eigenen Angst verlassen und war jetzt auch körperlich bei ihm.
»Hi«, sagte er leise.
Von den anderen Patienten hätte er keine Antwort bekommen. Bei dieser Frau war es etwas anderes. Sie nickte ihm zuerst zu und wusste nicht, ob sie lächeln sollte oder nicht.
»Ich bin Bill…«
»Susan…«
»Dir geht es gut?«
Susan strich mit der freien Hand durch ihr dunkelblondes Haar. »Ich weiß nicht, ob es mir gut geht, aber ich kann sagen, dass es mir jetzt besser geht.«
»Du hast es
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