1237 - So rächt sich eine Bestie
in der Gegend in ihrem verfluchten Zustand ausgehalten hatten und nun wieder in die Realität zurückgekehrt waren. Es gab kein perfektes Licht, aber er sah trotzdem ihre schrecklichen Gesichter mit der eingefallenen Haut, die so dünn wie Papier war und dennoch zäh wirkte. Er sah diese verdammten Mäuler, in denen die spitzen Blutzähne besonders hervorstachen, und er wusste, dass die Gier nach seinem Blut unermesslich war.
Suko war bereit. Er traute sich auch zu, die beiden mit einem Schlag der Peitsche zu erwischen, aber wieder kam es anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Der dumpfe, aber laute Knall erreichte ihn von oben. Sofort drehte er den Kopf nach rechts. Dort lag die Treppe, die zur Brücke hochführte, und dort war eine Tür wuchtig aufgestoßen worden.
Blondes Haar flatterte im Wind. Arme waren angewinkelt und zugleich erhoben.
Justine Cavallo stand dort wie eine Königin.
Ihr scharfes Lachen drang an Sukos Ohren. Sie fühlte sich als die große Siegerin, und bevor Suko diesmal reagierte, stieß sich Justine aus dem Stand heraus ab.
Mit gestreckten Beinen flog sie auf Suko zu…
***
Amy Carry begriff die Welt nicht mehr. Okay, sie konnte zwar akzeptieren, dass es das Grauen gab, aber dass es sich so verdichtet hatte, daran hätte sie nicht im Traum gedacht.
Für sie war die Insel, die sie bisher immer als Freiraum angesehen hatte, zu einem Gefängnis geworden, das jetzt von den grauenvollsten Wächtern bewacht wurde, die man sich nur vorstellen konnte. Menschen, die keine waren und nur davon lebten, das Blut anderer zu trinken, damit sie auch weiterhin existierten.
Sie war mutig gewesen. Sie wäre auch mit dem sympathischen Chinesen an Bord des festgelaufenen Schiffes gegangen, doch jetzt war sie froh, festen Boden unter den Füßen zu haben. Zwar hatte sie nicht gesehen, was sich dort alles abspielte, aber Suko war noch nicht zurückgekehrt, und das bereitete ihr Sorge. Er wäre bestimmt schon längst wieder bei ihr gewesen, wenn es keine Probleme gegeben hätte, so aber blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten und die Augen offen zu halten. In dieser Gegend konnte sich das Wetter innerhalb von Minuten verschlechtern. Jeder wusste das, jeder nahm es hin, und tatsächlich geschah dies auch in dieser Nacht, denn jetzt war Wind aufgekommen. Er wühlte die Wellen höher und schleuderte sie dabei zwangsläufig wuchtiger in den kleinen Hafen hinein.
Sie prallten gegen das Schiff, sie wurden an der Kaimauer gebrochen und bildeten hohe Gischtwolken, deren Tropfen fast bis zum Lagerhaus hingeschleudert wurden.
Es sah nach Sturm aus. Es wäre auch normal im Oktober gewesen, der sich bereits seinem Ende zuneigte. Da war man beinahe enttäuscht, wenn keine Herbststürme über das Land und die See hinweg tobten.
Amy überlegte, ob sie sich wieder hinter das Lagerhaus zurückziehen sollte, um dort eine gewisse Sicherheit zu finden.
Sie hätte dann nur nichts mehr gesehen, und sie wollte unbedingt beobachten, wie sich die Dinge weiterentwickelten.
Dass sie sich dabei selbst in Gefahr begab, daran dachte sie in diesen Momenten nicht.
Bisher war ja alles gut gegangen… Immer wieder rollten die Wellen an, die schon fast zu Brechern geworden waren. Sie schlugen gegen die Kaimauer, sie schleuderten Wasser darüber hinweg, sie zogen sich wieder zurück, kamen erneut und…
Scharf saugte Amy den Atem ein!
Da war jemand!
Ihr schien es, als wären diese beiden Gestalten zusammen mit den Wellen an Land gespült worden, aus dem tiefen Meer heraus, um sich an Land weiterbewegen zu können.
Zwei Gestalten! Zwei aus dem Wasser! Zwei Menschen, die bestimmt nicht vom Himmel gefallen waren, sondern vom Schiff gekommen sein mussten, ohne dass sie es gesehen hatte.
Amy hatte sich nicht wieder zurückgezogen, und genau das war ihr Fehler gewesen. Die nassen Gestalten drehten sich plötzlich in die gleiche Richtung, als hätten sie sich abgesprochen, und auf einmal sah Amy zwei Augenpaare auf sich gerichtet.
Unwillkürlich hielt sie den Atem an, denn mit einem derartigen Anblick hatte sie nicht gerechnet. Plötzlich waren ihr die Gestalten so nah, obwohl zwischen ihnen eine gewisse Entfernung bestand. Sie aber hatte den Eindruck als sollte sie durch die Blicke auf der Stelle gebannt und nicht mehr losgelassen werden.
Amy konnte sich keinen Reim auf den Anblick machen. Sie sahen so anders aus als der Vampir in der Ruine, aber sie waren keine Menschen, das stand für sie ebenfalls fest.
Sie waren Vampire,
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