1249 - Bibliothek des Grauens
seine Augen. »Warum fragen Sie, John? Stört Sie das?«
»Nein, nein, überhaupt nicht. Ich habe nur noch nie jemand erlebt, der sich mit diesem Thema beschäftigt.«
»Das sehr interessant ist.«
»Glaube ich gern. Aber man muss auch dafür geboren sein.«
»Volltreffer, John.« Er drehte sich um und ging mit seinem Glas auf die Sitzgruppe zu. Die Flasche nahm er unterwegs mit und stellte sie auf einen kleinen Tisch neben dem Sessel. Der andere war frei. Er deutete auf ihn und bat mich, ebenfalls Platz zu nehmen.
»Es ist so etwas wie die blaue Stunde«, sagte er, als ich ebenfalls saß, »die muss man genießen.«
»Das denke ich auch.«
Wir nahmen unsere nächsten Schlucke. Danach ließ Trenton den Whisky kreisen und schaute in sein Glas. »Da hat Ihnen also unser Freund Donald erzählt, was ich treibe.«
»Hat er.«
»Und jetzt brennen bei Ihnen zahlreiche Fragen.«
»So wichtig sind sie auch nicht«, antwortete ich. »Dennoch frage ich mich, wie ein Mensch dazu kommt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, das sicherlich faszinierend ist, aber zugleich auch abstoßend.«
»Sie haben den Punkt getroffen. Ich hätte nie gedacht, dass ich dahin mal kommen würde. Ich war früher Gerichtsreporter. Nicht nur hier in London, sondern auch in anderen Städten der Insel. Da habe ich schon genug erlebt. Doch eines Tages«, seine Stimme wurde leiser, und er senkte den Kopf noch tiefer, »wurde meine Freundin eiskalt ermordet. Ja, brutal. Gnadenlos.«
»Hat man den Täter gefasst?«
»Acht Monate später. Bei den Vernehmungen stellte sich heraus, dass Giselle Opfer eines Serienmörders geworden ist. Er hatte noch vier andere Frauen auf dem Gewissen. Ich war wie betäubt, doch nach einer Weile bekam ich einen inneren Stoß, der mein Leben veränderte. Ich fragte mich, warum ein Mensch so etwas tut. Mir wollte es nicht in den Kopf. Da musste doch etwas dahinter stecken.«
»Sie interessierte die Psychologie der Serienmörder?«
»Genauso war es. Ich fing an, sie in den Zellen zu besuchen und sie zu interviewen. Ich dachte, das schaffst du nie, doch ich irrte mich. Komischerweise waren die Täter froh, mit jemanden über ihre Verbrechen sprechen zu können. Sie redeten sich alles von der Seele, und sehr oft vergaß ich sogar, wer da vor mir sitzt. Sie waren in der Zelle normale und harmlose Männer.«
»Empfanden sie Reue?«
Nic Trenton blickte mich aus großen Augen an. »Nein, nein«, sagte er schließlich. »Sie empfanden alles, nur keine Reue. Ich habe sie studiert, und ich sage Ihnen, dass sie hinter Gittern harmlos wirken. Sobald sie allerdings frei kommen, werden sie wieder zu den Tieren, die sie vor ihrer Einlieferung gewesen sind. Ich bin der Meinung gewesen, dass man sie nicht therapieren kann. Zumindest nicht diejenigen, mit denen ich gesprochen habe.«
»Und was ist mit dem Mörder Ihrer Freundin gewesen? Haben Sie ihn ebenfalls interviewt?«
»Ja«, sagte er leise und trank wieder einen Schluck. »Das habe ich. Sogar als Ersten.« Er schloss die Augen und sprach weiter. »Es war nicht einfach, John. Es hat mich verdammt Überwindung gekostet, aber ich musste diesen Schritt gehen, um Giselles Tod zu verarbeiten. Das ist eben meine Art.«
»Wusste er, wer Sie waren?«
»Ja.«
»Was sagte er? Wie verhielt er sich?«
Trenton schlug ein Bein über das andere und hob dabei die Schultern. »Er zeigte zumindest kein Bedauern. Ich erfuhr auch, dass Giselle einfach Pech gehabt hat. Ihr Killer klingelte in dem Hochhaus, in dem sie wohnte. Es war Zufall, dass gerade sie ihm öffnete, denn sie hatte mich erwartet. Aber ich habe mich verspätet, weil eine Verhandlung länger dauerte als angesetzt. So hatte Giselle keine Chance. Das ist praktisch der Anfang gewesen.«
Ich ließ ihm eine gewisse Zeit, dann stellte ich meine nächste Frage. »Das war gewissermaßen der neue berufliche Anfang für Sie.«
»Wenn Sie es so sehen, haben Sie Recht. Die Killer faszinierten mich plötzlich. Ich wollte mehr über sie wissen und dabei auf wissenschaftlicher Ebene arbeiten. Das ist mir gelungen. Ich werde oft von der Polizei hinzugezogen, wenn es sich um Verhöre dreht. Mein Buch steht auch in den Regalen der Polizeischulen. Ich halte zudem Vorträge und bin ganz gut ausgelastet.«
»Und jetzt schreiben Sie an einem weiteren Buch, wie ich hörte.«
»Ja.«
»Darf ich mehr über den Inhalt erfahren?«
»Klar.« Er hob die Schultern locker an. »Das alles ist ja kein Geheimnis, John. Sie glauben gar nicht, wie
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