1276 - Kodexfieber
den durchsichtigen Behälter, in dem sie den verschmutzten Filter deponiert hatte. Er war verstopft mit Kodexmolekülen, und auch der neue Filter würde nicht länger als drei Stunden arbeiten, bis er ausgetauscht werden mußte.
Die Metabio-Gruppiererin wandte den Kopf. In der rechten Hand hielt sie den verschlossenen Beutel mit den Ersatzfiltern. Es waren drei Stück. Einen würde sie noch für die eigentliche Filteranlage brauchen, die in das Versorgungsteil des Schiffes integriert war. Die beiden übrigen würden für einen zweiten Austausch reichen.
Irmina hatte sich von der Luftversorgung ihres Schiffes abgekoppelt. Sie atmete die Luft des internen Kreislaufs des SERUNS, die erst nach achtundvierzig Stunden erneuert werden mußte. Dadurch war sie zumindest teilweise unabhängig, wenn sie auch die ÄSKULAP nicht verlassen konnte. Die Luft um sie herum war von einigen Kodexmolekülen durchdrungen, die von dem Austausch des Filters herrührten. Ansonsten war das Oberdeck hermetisch von den tiefer gelegenen Etagen abgeriegelt, in denen sich Unmengen der Moleküle angesammelt hatten.
Irmina setzte sich in Bewegung und trat an die Virenschleuse, hinter der sich der integrierte Filter befand. Sie setzte den Beutel mit den Ersatzfiltern ab.
„Öffne die Schleuse!" sagte sie.
Lautlos glitt das Schott zur Seite, und Irmina schlüpfte in die enge Kammer. Den Beutel zog sie hastig nach. Das Schott schloß sie, und die Absaugvorrichtung für Luft schuf ein Vakuum, das auch die Kodexmoleküle mitriß, die sich auf ihrem SERUN angelagert hatten. Das zweite Schott öffnete sich.
„Ich habe ein Holo für dich", sagte die ÄSKULAP. „Du mußt dich dort drüben neben die Computerkonsole stellen!"
Die Metabio-Gruppiererin verließ die Schleuse und suchte den Ort auf. Neben ihr entstand ein Hologramm, das das Meta-Forming-Labor zeigte und es in allen wichtigen Teilen abbildete.
Drei der vier Antigravliegen waren leer. Sie sah Bytargeau, der sich unruhig auf der einen hin und her wälzte. Die übrigen drei Hanse-Spezialisten hatten die Liegen verlassen und lagen verkrümmt am Boden.
Irmina wandte sich zur Schleuse.
„Laß mich hinaus", verlangte sie. „Ich muß zu ihnen!"
„Ich kann es nicht zulassen", sagte das Schiff. „Das Risiko ist zu groß. Ich übernehme keine Garantie, daß sie sich friedlich verhalten."
„Aber sie sind am Ende, siehst du das nicht?" rief Irmina aus.
„Du mußt den zweiten Filter austauschen. Damit hilfst du ihnen mehr!"
„Also gut!"
Sie wandte sich wieder dem Computer zu und ließ den Teil der Wand öffnen, hinter dem sich die Anlage befand. Sie löste die Halterung und nahm den Filter heraus. Sie ließ ihn sofort in einer Vakubox verschwinden, in der das künstliche Vakuum dafür sorgte, daß die Kodexmoleküle nicht aus dem Behälter entkommen konnten. Sie legte den neuen Filter ein. Während des Austausches war die Anlage abgeschaltet, erhielt das Labor im Mitteldeck keine Frischluft.
Irmina schloß die Anlage und wandte sich sofort zur Schleuse. Den Beutel mit den übrigen Filtern hatte sie sich an den Anzug gehängt.
„Wo willst du jetzt hin?" fragte die ÄSKULAP. „Ich rate dir dringend, dich nicht unnötig in Gefahr zu begeben!"
„Dort unten sind vier Menschen, die dringend meine Hilfe brauchen", erwiderte sie. „Gib mir ein neues Holo!"
Sie sah das Labor und Agid Vendor, die sich langsam über den Boden schleppte. Agid rang nach Luft und verdrehte die Augen.
Irminas Entschluß stand jetzt endgültig fest. Sie ging zum Zentralantigrav.
„Energie für den oberen Trakt!" sagte sie.
„Irmina, du machst einen Fehler. Ich protestiere. Notfalls verhindere ich, daß ..."
Die Terranerin hörte sich das Gejammer des Schiffes nicht länger an. Sie stürzte sich in den Schacht und fiel wie ein Stein nach unten. Nach fünf Metern setzte endlich die Antischwerkraft ein und bremste ihren Fall abrupt ab. Der Eingang zum Mitteldeck tauchte neben ihr auf, und sie packte einen Haltegriff und zog sich hinaus.
„Ich kann dich nicht aufhalten, aber ich werde die EXPLORER über die Gefahr verständigen, in die du dich begibst, Irmina!"
„Im Gegenteil. Du wirst auf keinen Anruf antworten und auch selbst keine Verbindung nach außen suchen. Du machst das Schiff dicht. Niemand darf hinein. Das ist ein Befehl, Schiff. Es geht um Menschenleben, und du darfst dich nicht dagegen auflehnen, wenn ich meine Fähigkeiten zum Wohl anderer einsetze. Selbst dann nicht, wenn ich selbst dadurch
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