1401 - Das Blutversprechen
hat.«
»Nein, lass es lieber!«
»Denk daran, wer ich bin.«
»Das tue ich und…«
Godwin sagte kein Wort mehr, weil er das Gefühl hatte, dass es nichts mehr brachte. Er schloss die Augen, er schüttelte den Kopf, er holte tief Atem und sah dann, dass Sophia sich nicht mehr um ihn kümmerte, sondern auf den Sessel zuging.
»Bitte, bleib…«
»Nein, Godwin, nein!«
Sie ging weiter, und es sah nicht so aus, als wollte sie im letzten Augenblick die Richtung ändern. Vor dem Sessel blieb sie stehen.
Sie nahm dort noch keinen Platz, sondern streckte beide Arme nach vorn und fuhr mit ihren Händen über die Knochen hinweg, deren Farbe nicht ganz zu definieren war. Sie lag irgendwo zwischen einem hellen Braun und bleichem Weiß. Dabei wirkte sie fleckig. Dieses Muster verteilte sich auf den Knochen des makabren Sitzmöbels.
Godwin bekam mit, dass Sophias Finger zuckten. Er sah sogar die Gänsehaut und musste davon ausgehen, dass der Sessel zu Sophia einen Kontakt aufgenommen hatte.
»Er lebt«, flüsterte die Frau. »Ja, du wirst es kaum glauben. Der Sessel lebt.«
»Das stimmt nicht so ganz, Sophia. Es steckt etwas in seinem Innern. Es ist eine uralte Botschaft…«
»Der Geist des letzten Templers?«
»Ja, so ähnlich. Ich denke schon, dass es so ist. Eine andere Erklärung habe ich nicht.«
»Und er sorgt dafür, dass ich eine Reise antreten kann?«
Godwin musste lachen. »Himmel, willst du das denn? Willst du diese Reise antreten?«
»Nein, nicht wirklich. Ich bin zu dir gekommen, um bei dir zu bleiben.«
»Dann lass es doch!«
»Das kann ich nicht!«, gab sie kleinlaut zu. »Der Sessel will etwas von mir. Das spüre ich überdeutlich. Warum akzeptierst du es nicht einfach, dass es so ist?« Wieder strich sie über die alten Knochen hinweg. »Es fühlt sich so einmalig an. Sie stecken voller Leben. Der Sessel ist für mich zu einem Freund geworden, und ich muss immer daran denken, wer ich einmal gewesen bin. Man hat mich damals verehrt. Man hat mich nie vergessen, und jetzt ist die Brücke geschlagen worden. Du brauchst keine Angst davor zu haben, dass mir der Sessel etwas antun wird. Er und ich sind Freunde. Wir passen zusammen.«
Godwin de Salier merkte, wie ihm das Handeln immer mehr entglitt. Es war die dunkelhaarige Frau, die hier das Kommando hatte.
Er fühlte sich immer mehr als Statist.
Sie drehte sich ihm noch mal zu. »Ich werde mich jetzt setzen, Godwin.«
»Nein, das ist…«
Sophia lächelte ihn an. »Doch, Godwin, doch!«
Mehr sagte sie nicht. Es reichte bei ihr eine halbe Drehung. Dabei sank sie in die Knie, und bevor sich der Templer versah, hatte sie auf dem Knochensessel ihren Platz gefunden.
Unwillkürlich ging der Templer einen Schritt zurück. Er wusste jetzt, dass er nicht mehr viel tun konnte. Die Frau wieder vom Sessel wegziehen, das wollte er auch nicht. Sie war alt genug, um zu wissen, was sie tat.
Der Knochensessel war nicht groß.
Aber er hatte eine recht breite Sitzfläche, die von Sophia fast völlig eingenommen worden war. Die Arme hatte sie angehoben, angewinkelt und auf die knöchernen Armlehnen gelegt.
»Es ist ein wunderbares Gefühl, Godwin. Es ist herrlich. Ein Sessel, der für mich wie geschaffen ist. Da gibt es keine Angst, keine Bedrückung. Ich erlebe ihn wie ein kleines Wunder, und ich merke wirklich, dass er noch lebt. Da steckt so viel in ihm, das mich einfach begeistert. Er ist kein Feind, er ist ein Freund…«
Godwin konnte nichts sagen. Er stand vor dem Knochensessel und schaute auf die dunkelhaarige Frau, die so glücklich aussah. Die Würgefalle an der Rückenlehne bewegte sich ebenfalls nicht. Sophia hatte Recht behalten, der Sessel akzeptierte sie, und er tat noch mehr, denn in den folgenden Sekunden fiel ihm die Veränderung auf. Er konnte sie gar nicht übersehen. Die Knochen fingen an, sich farblich zu verändern. War es Licht, das in sie hineindrang? Sie nahmen einen grünlichen Farbton an. Ein weiches Leuchten strahlte von ihm ab, aber nicht nur von ihm. Es drang auch in den Körper der Frau ein.
»Was spürst du, Sophia?«
Trotz der lauten Stimme gab sie ihm keine Antwort. Sophia war einfach glücklich. Sie lächelte, sie schaute nach vorn, aber sie sah nicht den Templer an, sondern blickte durch ihn hindurch.
»Es ist so wunderbar. Die Reise kann beginnen. Ich merke es, Godwin. Das Zimmer, ich…«
Sie redete weiter, doch Godwin hörte nicht mehr hin. Er vergaß alles andere, denn er wollte die Frau nicht allein lassen. Für
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