1500 - Der Albino
auch nichts. Sie waren völlig in sich gekehrt.
Es gab nur ein Geräusch, das die Stille zerstörte. Ein permanentes Pitschen, das immer dann eintrat, wenn ein Wassertropfen in ein Waschbecken klatschte.
»Jetzt bin ich auf deinen Kommentar gespannt, John.«
»Kannst du auch.«
»Und?«
»Saladin und Hypnose. Es gibt keine andere Erklärung für mich.«
Suko lächelte. »Genau das war mein Gedanke. Es geht um Saladin. Er war hier und hat seine Zeichen gesetzt.«
»Aber warum?«
Da hatte Suko eine gute Frage gestellt, auf die ich ihm auch keine Antwort geben konnte. Es war für uns beide schwer, uns in die Gedankenwelt des Hypnotiseurs zu versetzen, aber dass sein Plan bereits begonnen hatte, das stand zweifelsfrei fest.
Ich schaute mich noch mal um. Die Beleuchtung war nicht besonders. Drei Lampen über der Theke und zwei an der Decke gaben ein müdes Licht ab. Es reichte nicht mal bis in alle Ecken hinein, und so überwogen die Schatten in diesem Raum.
Ich schritt auf die Theke zu. Dabei schaute ich mir die stummen Gäste an. Sie saßen wirklich da wie angewurzelt, als wären sie mitten im Gespräch aus dem Leben gerissen worden.
Das konnte mir nicht gefallen. Ich verspürte das Rieseln der Gänsehaut auf meinem Rücken und stoppte erst ab, als ich die Theke erreicht hatte.
Ich stellte mich neben eine Frau, deren rot gefärbten Haare aussahen, als bestünden sie aus einer Perücke. Sie trug einen braunen Pullover mit tiefem Ausschnitt und einen hellen Minirock. Ihre Stiefel reichten fast bis zu den Knien.
Beide Hände lagen auf dem Tresen.
Sie umklammerten ein Glas, aus dem mir Whiskygeruch entgegenwehte, aber sie dachte wohl nicht im Traum daran, etwas davon zu trinken.
Ich stieß sie an.
Dadurch bewegte sich ihr Körper etwas, aber das war auch alles.
Sie kippte nicht vom Hocker, drehte den Kopf nicht und starrte weiterhin mit offenen Augen nach vorn.
»Hat keinen Sinn, John.«
»Das sehe ich jetzt auch.«
»Dann werden wir wohl warten müssen«, meinte Suko. »Ich denke nicht, dass dies hier so bleiben wird. Wie ich Saladin kenne, hat er zunächst nur einen Teil seines Plans umgesetzt. Alles Weitere wird noch folgen, schätze ich.«
»Das glaube ich allerdings auch.«
»Bleiben wir hier?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
»Im Prinzip nicht«, sagte Suko und schaute an mir vorbei. »Wir könnten uns eigentlich ein Versteck suchen, von dem aus wir den Gastraum hier unter Kontrolle halten können. Was meinst du?«
»Wäre nicht das Schlechteste. Aber wo? Ich will nicht, dass Saladin nach seiner Rückkehr über uns stolpert.«
Ich hatte den rechten Arm bereits angehoben, um hinter die Theke zu deuten, aber ich ließ ihn wieder sinken, denn beide hatten wir die leisen Schritte gehört.
Da kam jemand!
Wir hörten die Echos noch jenseits der Theke aufklingen. Die schmale Tür bildete den Durchgang in die hinteren Räume, und als wir das Quietschen hörten, wussten wir, dass die Tür geöffnet wurde.
Eine Frau erschien.
Wir kannten sie nicht, aber wir hätten jede Wette darauf abgeschlossen, dass es sich um die Wirtin handelte, die aus angstgeweiteten Augen in den Gastraum schaute…
***
Die Frau traute sich nicht vor. Deshalb halfen wir mit Worten nach.
Fast gleichzeitig erklärten wir ihr, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Und wir schienen ihr Vertrauen eingeflößt zu haben, denn sie gab sich einen Ruck und verließ ihren Platz.
Mit zittrigen Schritten ging sie auf uns zu und blieb hinter der Theke stehen.
Sie wusste, was mit ihren Gästen geschehen war, und sie gab einen Kommentar ab.
»Es ist furchtbar«, flüsterte sie. »Ich – mein Gott – es ging alles so schnell.«
»Was ging so schnell?« wollte ich wissen.
Sie schaute mich direkt an. Erst jetzt schien sie uns richtig zu bemerken. »Wer sind Sie?«
»Moment«, sagte ich und holte meinen Ausweis hervor. Dabei beobachtete ich sie.
Die Frau war nicht mehr die Jüngste. Ihr Haar war längst grau geworden. Sie hatte es nach hinten gekämmt, wo es irgendwie zusammengesteckt worden war. Ihr Gesicht zeigte zahlreiche Falten, die sich in die verlebte Haut eingegraben hatten.
»Bitte.« Ich schob ihr den Ausweis hin.
Sie nahm ihn nur zögernd, hielt ihn dann dicht vor ihre Augen und flüsterte: »Scotland Yard?«
»Ja. Ich heiße John Sinclair, und das dort ist mein Kollege Suko.«
Sie nickte. »Das hört sich gut an.«
Dann lachte sie. »Aber glauben Sie nicht, dass Sie hier etwas ändern können. Das ist zu
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