1543 - Der Held von Sigris
Gleichzeitig sah Idinyphe den Schatten, der in Richtung der Tür huschte. „Du kommst also nicht mit?" hörte sie Sardon und schüttelte automatisch den Kopf. Sie blieb.
Sie wollte nach Truillau.
Trau-Ke-Vot stieß sie zur Seite. Er schoß durch die Tür hinter dem Ke-Ri her. „Du entkommst mir nicht!" klang es von irgendwo aus seinem Körper.
Dann wurde es übergangslos still. Kein Geräusch war mehr zu hören. Idinyphe spähte hinaus, aber sie konnte nichts erkennen. Die beiden Wesen waren spurlos verschwunden.
*
Er hatte damit gerechnet. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn er in das Versteck hätte eindringen können, ohne daß die Genormten davon erfuhren. Sie waren Kunstwesen, vom Bewahrer aus Angehörigen verschiedener Völker umgewandelt und in eine einheitliche Form mit ziemlich einheitlichen Fähigkeiten gebracht. Das war eine Tatsache, die von Anfang an bekannt gewesen war. Es waren Kunstgeschöpfe von ganz merkwürdiger Art, und Sardon, dessen kleiner, wendiger und vielgliedriger Körper einem natürlichen Entwicklungsprozeß entstammte, empfand die Form und die für seine Begriffe übertriebene Größe der Genormten als eine Beleidigung für sich und sein ganzes Volk, für die Evolution an sich.
Während er den Schacht entlangglitt und sich vergewisserte, daß Trau-Ke-Vot ihm folgte, mußte er wieder an Dhaq denken, den Eirene/Idinyphe erwähnt hatte. Dhaq war einer der berühmtesten Uluphos, und sein Denkmal stand in ESTARTU auf der Heimatwelt seines Volkes, die all die Tapferen und Unübertrefflichen hervorgebracht hatte. „Bleib stehen!" hörte er den Truillauer rufen. Er reagierte nicht, folgte stumm der Biegung des Schachtes und wählte den Deckel zur Linken. Er hatte ihn bereits auf dem Herweg gelockert, schob ihn zur Seite und verschwand in dem Loch. Der Boden befand sich fünf Körperlängen unter ihm, und Sardon ließ sich fallen. Er schlug federnd auf, tastete nach vorn und rechts, entdeckte den Spalt im Metall und folgte ihm in Richtung Oberfläche. Er war breit genug, daß auch Trau-Ke-Vot hindurchpaßte, und das gehörte mit zum Plan, den Sardon verfolgte.
In Gedanken lobte er sich fortwährend für seine Umsicht und seine Einfälle. Niemals durfte es nach außen getragen werden, daß Ke-Ri intelligent waren und aus ESTARTU stammten.
Wieso wußte der ominöse Bewahrer es eigentlich nicht? Lag es daran, daß er ESTARTU nicht kannte? Wer war er? Sardon wollte zu denen gehören, die es einst erfahren würden.
Deshalb mußte Trau-Ke-Vot zum Schweigen gebracht werden. Der Genormte konnte sich noch immer nicht aus dem Bann lösen, daß der Ke-Ri für lange Zeit sein Haustier gewesen war, zu dem er eine persönliche Beziehung gehabt hatte. Wenn er gewußt hätte, wie elend und schlecht sich Sardon manchmal gefühlt hatte, von diesen häßlichen Greiflappen gekrault und gestreichelt zu werden ...
Das war nun vorbei. Die Zeit der Abrechnung war gekommen. Trau-Ke-Vot lebte noch immer in seinem Traum vom harmlosen Ke-Ri, sonst wäre er vorsichtiger gewesen.
Der Verfolger holte auf. Ein Blitz raste durch den Riß im metallenen Fundament der Ruine, verflüssigte einen Teil der bizarren Wandung und ließ die Tropfen noch im Fallen wieder erstarren. Der Strahlschuß schlug nur wenige Meter hinter dem Ulupho ein, und Sardon spürte die Hitze, die seinen Pelz versengte und ihn vorwärts trieb. Ein paar Meter noch, nur Atemzüge.
Der zweite Schuß des Truillauers saß schon wesentlich näher, und Sardon aktivierte seine letzte Möglichkeit, indem er erneut an den Ke-Ri-Instinkt seines Verfolgers appellierte. Er stieß ein herzzerreißendes Jammern aus, keuchte und ächzte, ließ sich gegen das Metall fallen und setzte über eine im Weg liegende Plastikschwelle hinweg.
Noch drei Meter. „Ich kriege dich, tot oder lebendig!" tobte Trau-Ke-Vot.
Sardon geriet in den Kegel des Tageslichts, der von oben durch ein Loch in der Planetenoberfläche hereindrang.
Der Genormte konnte ihn jetzt optisch einwandfrei ausmachen. Er mußte sehen, wie er über einen schmalen Riß hinüber in die Freiheit sprang, heftig auf dem Boden aufsetzte und dann hastig weiterrannte.
Die akustischen Begleitgeräusche des Vorgangs stimmten auf den Atemzug genau.
In dem Augenblick, in dem der Ulupho aus dem Gesichtsfeld des Truillauers geriet, schnellte er sieben seiner Gliedmaßen nach links hinaus und griff an die in der Luft hängende kleine Tür eines Versorgungsschachts. Er schwenkte mit der Tür zur Seite,
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