1791 - Im Dorf der Verdammten
unserem Freund auch nicht. Er bewegte zuckend den Kopf und fragte: »Was ist denn jetzt los?«
»Wir waren noch nicht hier.«
»Ja, aber …«
Er hörte mitten im Satz auf, denn vor uns und auch neben und hinter uns passierte etwas.
Etwas schob sich heran. Es wurde unruhig. Aber was sich da bewegte, sahen wir nicht. Zudem wurde es kälter, obwohl die normale Temperatur nicht gefallen war. Dieser Eishauch wehte an uns vorbei. Wir drehten den Kopf, verfolgten die kalte Luft und waren froh, dass wir sie nicht mehr spürten.
Der Spaß war noch nicht beendet. In unserer Nähe bewegte sich etwas, und wir erkannten, dass wir zwar noch im Freien standen, aber nicht so richtig.
Wir bekamen das zu sehen, was wir hatten sehen wollen. Eine andere Umgebung. Häuser, die allerdings mehr aus Schatten bestanden.
Bill schaute mich an. »Wir müssen warten«, sagte er mit leiser Stimme. »Das ist wie im Märchen. Erst wenn bestimmte Kräfte es wollen, kannst du es richtig erkennen.«
»Und dann müssen wir davon ausgehen, dass wir hier ein böses Märchen erleben.«
»Haha, hast du schon mal gute Märchen kennengelernt?«
»Als Kind schon.«
»Die Zeit liegt lange zurück.«
Ob wir hier die Rückkehr einer Märchenwelt erlebten oder nicht, das konnte keiner von uns mit Bestimmtheit sagen. Es war jedenfalls real, was wir da sahen und jetzt auch hörten, denn plötzlich klang ein schwaches Wispern auf, das bestimmt nicht von einem Tier stammte. Es blieb auch nicht so leise, es vermehrte sich, und wir gingen davon aus, dass es sich um die noch unsichtbaren Bewohner handelte.
»Irgendwann werden sie kommen«, sagte Bill leise. »Und dann will ich sehen, was dahintersteckt.«
»Das kannst du jetzt schon«, sagte Tony Black und deutete nach vorn.
»Wo?«
»Da, schau hin!«
Das tat nicht nur Bill, das tat ich ebenfalls. Ich musste nur nach vorn schauen und sah den weißen Fleck.
Im ersten Moment hielt ich ihn dafür. Aber dieser Fleck bewegte sich, und dann war auch die Stimme des Wirtes zu hören.
»Das ist Irma …«
***
Er hatte die drei Wörter gesagt. Wir hatten sie gehört, wir sahen die Gestalt und hatten zum ersten Mal das Gefühl, dass es jetzt weiterging.
Ich hörte Bill erst atmen, dann sprechen. »Tatsächlich, er hat recht. Das muss sie sein.«
Ich blieb stumm und schaute nur. Dass Irma erwachsen war, wollte ich nicht glauben. Aber sie hatte auch nicht mehr die Größe eines Kindes, sie lag irgendwo dazwischen und trug ein helles Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte und nicht weiter.
Sagte sie was? Hielt sie sich zurück? Wollte sie uns begrüßen oder nur ihren Bekannten Tony?
Der stand zwar dicht neben uns, war aber völlig aus dem Häuschen. Er bewegte sich unsicher, ohne seinen Platz zu verlassen. Er wäre am liebsten auf Irma zugelaufen, doch das traute er sich nicht. Dafür sprach er uns an.
»Das ist sie. Das ist Irma.«
»Und weiter«, fragte Bill, »oder war das alles?«
»Nein, das war nicht alles.«
»Was gibt es denn noch?«
»Schaut sie euch gut an. Das könnt ihr bestimmt, wenn sie näher kommt.«
»Und was ist dann?«
Tony Black stöhnte leicht auf. »Sie hat so ein wunderhübsches Gesicht, das fein geschnitten ist. Eine wie sie muss man einfach in sein Herz schließen.«
»Das hast du getan?«
»Ja, das habe ich.«
Ich runzelte die Stirn. »Davon würde ich jedem abraten.«
»Ach, neidisch?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Ich bin realistisch«, erklärte ich ihm. »Wenn wir davon ausgehen, dass wir es nicht mit normalen Menschen zu tun haben, ist das, was sich in deinem Kopf festsetzt, gefährlich. Glaubst du wirklich, dass es sich bei ihr um eine so junge Frau handelt?«
»Wie ein Monster sieht sie nicht aus.«
»Das trifft zu. Aber ich kenne Hexen, die sich hinter ihren Fassaden verstecken. Schöne Gesichter und schöne Körper, beides gehört nicht nur bei Menschen zusammen, sondern auch bei den Hexen. Das solltest du nicht vergessen, denn du selbst hast von Hexen gesprochen. So habe ich das noch in meiner Erinnerung.«
»Aber sie hat mich nicht verhext.«
»Doch«, sagte Bill. »Auf eine gewisse Art und Weise hat sie es schon geschafft.«
»Ja, ich mag sie, auch wenn sie meine Tochter sein könnte. Ist das ein Verbrechen?«
»Auf keinen Fall«, erwiderte Bill »Aber man sollte im Leben immer vorsichtig sein.«
»Alles klar.«
Es war für ihn nicht alles klar, das sahen wir ihm an. So, wie er sich auf die Blonde konzentrierte, würde bald etwas passieren. Das lag
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