18 Gänsehaut Stories
amerikanischen Short-Story. Sein »Skizzenbuch« (1819/20) machte den in Nordamerika schon bekannten Schriftsteller auch in Europa berühmt. In der folgenden Geschichte daraus gestaltet er in seiner humoristisch-hintergründigen Manier eine alte amerikanische Volkssage.
Im Inneren einer der geräumigen Buchten, die sich am östlichen Ufer des Hudson gebildet haben, an jener Stelle, da sich der Fluß verbreitert, liegt ein kleiner ländlicher Hafen, der Greensburgh, aber auch Tarry Town genannt wird. Diesen Namen erhielt der Ort in früheren Zeiten, weil es die Männer an Markttagen nicht lassen konnten, sich ständig in den Schenken herumzutreiben. Nicht weit von diesem Dorf entfernt liegt ein kleines Tal zwischen hohen Bergen, das einer der stillsten Orte der ganzen Welt zu sein scheint. Ein kleiner Bach fließt hindurch, und das Wasser gibt ein einschläferndes Glucksen von sich. Ab und zu hört man den Ruf einer Wachtel oder das Picken eines Spechts, und dies sind beinahe die einzigen Laute, die diese eintönige Stille unterbrechen.
Die Ruhe des Ortes und der seltsame Charakter seiner Bewohner, die von holländischen Einwanderern abstammen, haben dieser abgelegenen Gegend den Namen »das schläfri ge Tal« eingetragen. Ein schläfriges, träumerisches Wesen scheint auf dem ganzen Land zu liegen.
Einige Leute behaupten, der Ort sei von einem deutschen Doktor in den frühen Tagen der Kolonien behext worden, andere meinen, ein indianischer Häuptling habe dort Geisterbeschwörungen abgehalten. Jedenfalls ist es auch heute noch immer nicht recht geheuer in diesem Tal, und die Menschen, die dort wohnen, scheinen beständig im Traum umherzugehen. Sie glauben an Wunder und Erscheinungen, hören Musik und Geisterstimmen in der Luft, und der ganze Landstrich ist voller zwielichtigem Aberglauben, und man sagt, die Nachtmahr mit ihren neun Kindern zeige sich dort besonders gern.
Der wichtigste Geist aber, der hier umgeht, und dem gewissermaßen alle anderen Spukwesen Untertan sind, ist ein Reiter ohne Kopf. Man hält ihn für das Gespenst eines hessischen Kavalleristen, dem eine Kanonenkugel in irgendeiner Schlacht des Revolutionskrieges den Schädel zertrümmert hat. Man sieht ihn von Zeit zu Zeit, wie er rasch wie der Wind durch die Dunkelheit davonreitet. Er läßt sich nicht nur im Tal sehen, sondern taucht auch auf der nahegelegenen Landstraße auf und erscheint auch bei einer bestimmten Kirche, auf deren Friedhof nach glaubhaften Angaben der Leichnam des Reiters beerdigt wurde. Und es geht die Rede, das Gespenst reite des Nachts zum Schlachtfeld, um dort seinen Kopf zu suchen. Die Bewohner aber nennen es »den kopflosen Reiter aus dem schläfrigen Tal«.
In dieser spukhaften Gegend wohnte nun vor Zeiten ein Mann mit Namen Ichabod Crane, der es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die Kinder jenes Landstrichs zu unterrichten. Dieser Schullehrer war groß und sehr dürr, hatte lange Arme und Beine, und seine Hände ragten unförmig weit aus den Ärmeln seiner Jacke hervor. Seine Füße hätten als Schaufeln dienen können, und seine ganze Gestalt sah schlotternd und wie aus den Fugen geraten aus. Wenn man ihn an einem windigen Tag vom Abhang eines Berges herabsteigen sah und seine Kleider um ihn wehten und flatterten, hätte man ihn für das Gespenst der Hungersnot halten können, das auf die Erde steigt, oder für eine aus dem Kornfeld entlaufene Vogelscheuche.
Als Lehrer war er nachsichtig und milde, und da es den Bewohnern dieser Gegend schwerfiel, sich überhaupt einen Schulmeister zu leisten, machte er sich bei den Pächtern nebenher noch bei der Feldarbeit nützlich, half beim Heumachen, flickte
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