1809 - Hetzjagd durch den Hyperraum
mich zur Ruhe zwang, tief durchatmete und mir die Frage stellte, über welche Defensivsysteme die Igelraumer verfügten, um Hermons Transformsalve scheinbar ohne große Probleme wegzustecken, wendete der Igel in einer knappen Schleife und schoß direkt in irrwitziger Beschleunigungsfahrt auf uns zu.
Wir fühlten uns nackt bis auf das Skelett, zerlegt in die einzelnen Atome unseres Körpers.
Myles Kantor schrie irgend etwas. Ich verstand die Stimme aus dem Lautsprecher nicht. Ich weiß, daß ich ebenfalls nur noch schrie, unsere Schutzschirme mit allem zu verstärken, was wir besaßen, und auf Fluchtkurs zu gehen.
Ich kann mich daran erinnern, auf den alles auslöschenden Blitz gewartet zu haben, daß ich statt dessen irgendwie eine Kursberechnung zu sehen bekam, die auswies, daß der Fremde zwar auf uns zu, aber doch nicht auf vollem Konfrontationskurs flog.
Er wollte uns anscheinend nicht rammen, und er schoß auch nicht auf uns. Vielleicht wußte er, daß uns seine Tangle-Strahlung wehrlos machte, wenn er in diesem, geringen Abstand an uns vorbeijagte.
Weder Sevia noch Gerine, kein Hermon von Ariga und kein anderer wußte später zu sagen, was in diesen Momenten eigentlich bei uns an Bord geschehen war.
Der einzige Zeuge war mein eigener Logiksektor, und ich bin mir darüber im klaren, daß ich dem Extrasinn dankbar zu sein habe, daß ich in diesen Sekunden, als der Igel in weniger als hunderttausend Kilometer Entfernung an uns vorbeiraste, so weit handlungsfähig blieb, daß ich zwei Dinge tun konnte: Erstens verbat ich mir von der GILGAMESCH nochmals eine Übernahme der RICO durch Merlin, und zweitens sorgte ich dafür, daß sich unser modifizierter Maxim-Orter auf das vorbeischießende Igelschiff richtete.
*
Der Maxim-Orter, auch kurz als Maximex bezeichnet, war ein mit einem Syntron gekoppeltes modernes Ortungsverfahren, das auf statische Art und Weise arbeitete. Seinen Namen hatte es von der Zugrundelegung der maximalen Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Ereignisses oder konkreter: eines zu ortenden Objekts oder Energieausstoßes.
Erfolgte dann das Ereignis, in unserem Fall das Abtauchen des Igelschiffs in den Hyperraum, machte der MaximOrter innerhalb einer Sekunde mehrere Millionen Messungen des Objekts oder der Emission, ermittelte aus den. Meßdaten die Verteilung der Erwartungswerte und bestimmte das Maximum des Kurvenverlaufs der Energiewerte.
Aufgrund seiner Funktionsweise war der Maximex geringfügig langsamer als herkömmliche Ortungssysteme. Bei Kopplung von Maxim-Ortern mit automatischen Zielgeräten, bei denen es auf die Nanosekunde ankam, mußte der Syntron des Maximex anspringen, um diesen Zeitverlust zu kompensieren.
Unser Maximex jedenfalls funktionierte einwandfrei und schnell. Er „fing" sich den Igelraumer ein, und als das fremde Schiff in den Hyperflug ging, lieferte er uns alle Daten, um ihm im Metagrav-Flug zu folgen.
Genau das hatte ich instinktiv gespürt, oder der Extrasinn hatte es mir eingeflüstert - im nachhinein ließ sich das schwer trennen.
Daß ich in dieser Konfusion genau das Richtige tat, war jedenfalls nicht auf meinen Zellaktivator zurückzuführen.
Hinterher sagten mir Sevia, Gerine, Ambras, Sassaron und selbst Kaha, daß sie nicht mehr daran geglaubt hätten, dies zu überleben: Stakkato, Hämmern, das Gefühl, aus seinem Leib gerissen zu werden; Köpfe, die unter dem furchtbaren Druck zu bersten drohten, kein klarer Gedanke mehr. Und der Körper überhaupt nicht mehr spür- und kontrollierbar.
Und plötzlich war alles weg.
Ich sah aus tränenden Augen, wie sich Arkoniden aufrichteten, gegenseitig stützten, hörte sie weinen und fluchen. Die meisten faßten sich an den Kopf, als müßten sie prüfen, ob er überhaupt noch auf den Schultern säße.
Dieser mentale Angriff (ich bezeichnete ihn so, ohne zu wissen, ob es einer war oder tatsächlich „nur" eine fremdartige, aggressive Art der Ortung) gehörte zum Schlimmsten, was ich bisher in dieser Hinsicht erlebt hatte. Und „bisher" bedeutete bei mir immerhin locker über zehntausend Jahre.
Aber es war vorbei.
Dieses Erlebnis allein wäre für andere sicher ein Grund gewesen, sich bloß nicht noch einmal auf eine Konfrontation mit einem Igelschiff - diesem Igelschiff - einzulassen.
Für mich war es die Herausforderung.
Wenn wir dem Fremden folgten, was er gewiß nicht vermutete, dann hatten wir vielleicht die einmalige Gelegenheit, endlich herauszufinden, woher er kam; er
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