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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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festklammern, kam schließlich an die Bruchstelle, dorthin, wo es nicht mehr weiterging, stand auf dem stark abschüssigen Deck und hatte die tosende See zu seinen Füßen. Und weil an der Schmalseite des Wracks keine Bordwand die Brecher aufhielt, hatten sie leichtes Spiel, ergossen sich über ihn, der jetzt den Plan faßte, ins Wasser zu springen und auf das andere Wrackteil zuzuschwimmen. Doch die heraufpeitschenden Wassermassen machten ihm klar, daß ein Sprung in das aufgewühlte, stockfinstere Meer mit aller Wahrscheinlichkeit seinen Tod zur Folge haben würde. So blieb er stehen, sprang nicht, starrte nur voraus, sah aber nicht einmal mehr die Lichter des Achterschiffs. Und die Alarmglocke war verstummt. Vielleicht, schoß es ihm durch den Kopf, ist die Stromversorgung ausgefallen! Und was dann? Das Allerwichtigste ist doch unser SOS-Signal! Aber schließlich sagte er sich, daß die Funkstation vermutlich ein Hilfsaggregat hatte, und dann mußte Wilson, der schottische Funkoffizier, jetzt an seinem Gerät sitzen und die SOS-Meldung ohne Unterlaß in den Äther schicken.
Aber würde das Achterschiff nicht viel schneller sinken als der Teil, auf dem er sich befand? Unter den Aufbauten hatte ja die tonnenschwere Maschine ihren Platz. Bestimmt war beim Auseinanderbrechen auch der Maschinenraum aufgerissen worden, ja, wahrscheinlich war die Explosion in diesem Bereich überhaupt entstanden, und dort gab es so viele kompakte Eisenmassen wie nirgendwo sonst auf dem Schiff. Sprach nicht alles dafür, daß ein so enormes Gewicht das Achterschiff im Handumdrehen in die Tiefe ziehen würde?
Die Schlagseite wurde immer bedrohlicher. Er wollte zurück auf die Back, trat den beschwerlichen Weg an, kam nur langsam voran, blieb jetzt immer an der Reling, weil er verläßlichen Halt brauchte. Als er die Treppe endlich erreicht hatte, sah er sich noch einmal um, glaubte, in weiter Ferne ein winziges Licht zu erkennen. Hielt das Heck sich also noch, oder war es nur einer der mit Signallampen ausgestatteten Rettungsringe? Der Kapitän hatte an einem der ersten Tage Probealarm gegeben, und alle, auch die Besatzungsmitglieder, waren mit angelegten Schwimmwesten an Deck erschienen. Aber die Boote waren nicht zu Wasser gelassen worden. Und jetzt? Die Explosion war an der Steuerbordseite erfolgt, nahe der Brückennock, und unter der Nock lag das Bootsdeck. Noch einmal hatte er – in Gedanken – die emporschießende gelbrote Lohe vor sich, und ihm wurde klar, daß mit dem Einsatz des Steuerbord-Rettungsbootes nicht zu rechnen war. Hatten die Männer, fragte er sich, das andere, das Backbordboot, klarmachen und herunterlassen können? Aber wenn nicht, gab es dort auf dem Heck ja wenigstens noch die Rettungsinseln und die Rettungsringe! Er stieg die Treppe hoch, kroch dann auf allen vieren, weil er sich sonst nur schwer hätte halten können, bis zur Ankerwinsch, stand auf, fand Halt an einem der gewaltigen Kettenglieder, deren goldglänzender Rost ihn noch vor wenigen Tagen so begeistert hatte, und sah immer wieder dorthin, wo das andere Stück der MELLUM verschwunden war. Wohin war es gegangen, in eine der vier Himmelsrichtungen oder in die Tiefe? Natürlich wußte er, daß auch er selbst in Todesgefahr war, aber mit dem eigenen Sterben, so empfand er, hatte es noch Zeit. Es war aufgeschoben, hing vor allem von der Frage ab, wie lange sich das hundertfünfzig Meter lange Wrack aus Vorschiff und Laderäumen über Wasser halten würde. Wahrscheinlich war nur eine der fünf Luken aufgerissen, und so konnte es sein, daß die anderen noch eine ganze Weile für Auftrieb sorgten. Was ihn dagegen fast wahnsinnig machte, war die Unmöglichkeit, Sigrid und Arndt in die Arme zu nehmen und ihnen Trost zuzusprechen, und sei er noch so haltlos. Trennung, dieses tausendfach für das Auseinandergehen von Menschen verwendete Wort, hatte hier einen furchtbaren Doppelsinn: Die Explosion hatte sie völlig unerwartet vollzogen, hatte buchstäblich getrennt, und ein grausamer Zufall hatte es gewollt, daß die drei Menschen, die zusammengehörten, nicht zusammen waren.
Er flehte zu Gott, daß seine beiden unverletzt ins Rettungsboot gelangt waren. Nur darauf kam es an. Er selbst würde bestimmt noch eine Weile über Wasser bleiben, vielleicht sogar so lange, bis Hilfe kam.
Auf einem seiner vielen Wege zum Vorschiff hatte er gesehen, daß hinter der Back, in der Nähe der Treppe, eine kleine Rettungsinsel deponiert war. Er kletterte hinunter, tastete sich

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