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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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noch nie gesehen?«
    »Nein.«
    »Beim ersten Mal beeindruckt es alle. Gehen wir, du wirst es dir schon noch angucken können.«
    Wir stiegen ein paar Stufen hinauf und gelangten in den winzigen Raum der Posten. Die verschwommene Figur hinter der Tür nahm als dürrer, melancholisch wirkender Mann Gestalt an, meiner Meinung nach ein Tiermann. Er las Pelewins »Die Werwolf-Frage in Mittelrussland« und grinste glücklich.
    Doch kaum betrat Edgar den Vorraum, als der Mann sich verwandelte. Seine Augen blitzten auf, das Buch fiel auf die Tischplatte.
    »Hallo, Oleeg«, begrüßte Edgar ihn mit baltischem Akzent - wo auch immer der plötzlich herkommen mochte.
    Schagron nickte bloß.
    Ich entschied mich, ihn ebenfalls anzusprechen. »Guten Morgen.«
    »Das ist unser Kollege aus der Ukraine«, stellte Edgar mich vor. »Im Zweifelsfall kann er ohne Kontrolle in den Gästebereich gelassen werden.«
    »In Ordnung«, versicherte Oleg sofort. »Soll ich ihn in die Datenbank eintragen?«
    »Ja.«
    Oleg sah mir in die Augen, bleckte freundlich die Zähne, überprüfte mit einiger Anstrengung die Registrierungszeichen, setzte sich hinter seinen Tisch und holte ein Notebook aus der Schublade.
    »Wo ist dein Partner?«, fragte Edgar.
    Oleg blickte ertappt drein. »Er wollte nur eben Zigaretten holen... Ist gleich wieder da.«
    »Gehen wir«, meinte Edgar seufzend, packte mich am Ärmel und brachte mich zu den Fahrstühlen. Schagron hatte bereits den Knopf gedrückt um ihn zu holen.
    Die Fahrt hinauf dauerte lange. Zumindest länger, als ich es erwartet hatte. Aber dann fielen mir die zusätzlichen Stockwerke wieder ein, und alles rückte an seinen Platz.
    »Der Gästebereich liegt im achten Stock«, erklärte Edgar. »Im Grunde ist es ein Hotel, nur kostet es nichts. Ich glaube, im Moment wohnt sogar jemand hier.«
    Die Türen des Fahrstuhls glitten lautlos auseinander, und wir fanden uns in einem quadratischen Foyer wieder, dessen Ausstattung eine kluge Mischung aus Luxus und sparsamer Funktionalität darstellte. Ledersofas und Sessel, ein Topf mit einer echten Palme, Stiche an den Wänden, Parkettboden mit Teppichen. Der Empfangstresen entsprach dem in einem Hotel, nur gab es hier nichts, was an einen Tisch und einen Stuhl für das Etagenpersonal erinnert hätte. Nur ein verschlossenes Büro, in dessen Schloss jedoch ein eleganter Metallschlüssel steckte.
    Edgar schloss das Büro auf. In seinem Innern fanden sich akkurat horizontal angebrachte, pilzförmige Haken, an denen jeweils ein Schlüssel hing. Neben jedem Haken funkelte die Zimmernummer.
    Doch halt, das war voreilig: An zwei Haken hing kein Schlüssel, am zweiten und am vierten.
    »Such dir was aus. Wenn der Schlüssel hier hängt, heißt es, die Wohnung ist frei.«
    Er sprach ausdrücklich von Wohnung, nicht von Zimmer, als ob der Umstand, für Wohnraum nichts bezahlen zu müssen, für Andere ebendie Grenze darstelle, die ein unpersönliches Hotelzimmer von dem Ort unterscheidet, den man ein Zuhause nennen kann.
    Ich nahm den Schlüssel Nummer acht. Den rechten in der zweiten Reihe.
    »Du kannst dir nachher alles ansehen«, meinte Edgar. »Jetzt stell nur deine Sachen ab und komm gleich wieder.«
    Ich nickte. Was meine Dunklen Kollegen wohl mit mir vorhatten? Vermutlich ein freundliches, doch sehr knallhartes Verhör.
    Gut. Das würde ich schon überstehen. Schließlich sind es doch meine Leute.
    Die Wohnung trug ihre Bezeichnung zu Recht. Es gab eine Küche, ein abgetrenntes Bad und WC, drei geräumige Zimmer sowie eine große Diele - eine typische Wohnung der Stalinzeit, die nach europäischen Standards modernisiert worden war. Die Decken waren mindestens dreieinhalb Meter hoch, vielleicht sogar ganze vier.
    Ich hing meine Jacke an die Garderobe und ließ die Tasche einfach mitten in der Diele stehen. Dann trat ich wieder in den Gang hinaus und knallte die Tür hinter mir zu.
    Aus der vierten Wohnung klang leise Musik zu mir hinüber. Vor einer Minute, als ich daran vorbeigegangen war, hatte ich eingängige ausländische Töne vernommen. Jetzt lief ein neues Lied, und ich erahnte die Worte eher, als dass ich sie verstand, da der fetzige Rhythmus und der Hardrock-Sound sie fast erstickten.

Vom Schicksal tief hinabgestürzt, 
    Wird Zeit, dass du vergisst, 
    Was du dort oben einmal warst, 
    Doch denk dran, was du bist!
    Der Ruhm hat dich geliebt - warum, 
    Ist heute ganz egal, 
    In deine leere Seele brennt
    Die Niedertracht ihr Mal.
    Die Menschen wühlen tief im

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